«Schlank im Schlaf» und «Macht Milch müde Männer munter»?

Von Danica Gröhlich, 19. Oktober 2022

Wahr oder längst überholt? Ernährungsmythen im Check. (Cedit: iSock)

Was tatsächlich sinnvolle Ess- und Trinkgewohnheiten sind und welche Empfehlungen doch ins Reich der Ernährungsmythen gehören. Eine Ernährungsforscherin ordnet ein.

Noch immer sind sie in aller Munde, zum Teil schon seit Jahrzehnten: Die gutgemeinten Ratschläge rund um unsere Ernährung. So bekommt auch die Butter stets aufs Neue ihr Fett weg. Doch ist die Margarine als vegane Alternative wirklich gesünder? Und wurde die Comic-Figur Popeye tatsächlich dank Spinat so stark? Oder war dies ebenfalls nur eine einprägsame Marketing- Kampagne wie die Milch, die angeblich müde Männer wieder munter macht? Prof. Dr. Christine Brombach vom Institut für Lebensmittel- und Getränkeinnovation der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften geht dem auf den Grund. Seit 2009 arbeitet sie als Ernährungsforscherin und Dozentin für die ZHAW in Wädenswil. Sie erklärt, wie Ernährungsmythen entstehen können: «Wir leben in einer extrem komplexen und unübersichtlichen Welt. Daher suchen wir gerade auch beim Thema Ernährung nach einfachen Handlungshilfen. So werden wir empfänglich für einfache Botschaften, die uns vermeintlich helfen, diese Unübersichtlichkeiten aufzulösen.»

Macht Spinat stark?
Wenn «stark» mit «Energie» gleichsetzt wird, dann sicherlich nicht. Denn pro 100 Gramm gegartem Spinat enthält dieser lediglich 26 Kilokalorien. Für den Muskelaufbau und für das verfügbare Eisen hilft Spinat auch nicht viel. So enthält Spinat zwar pro 100 Gramm 3,59 Milligramm Eisen. Aber dieses ist für den Körper schlechter zugänglich als Eisen aus tierischen Lebensmitteln. Denn nicht alle Mineralstoffe, die in einem Lebensmittel enthalten sind, werden vom Menschen gleich gut verwertet. Generell wird beispielsweise das Eisen aus tierischen Lebensmitteln aus dem Darm besser aufgenommen als Eisen aus pflanzlichen Nahrungsmitteln wie eben dem Spinat. Trotzdem hält sich der Mythos vom eisenhaltigen Spinat hartnäckig. Bereits 1890 ermittelte ein Wissenschaftler einen Eisengehalt von 35 Milligramm pro 100 Gramm Spinat – allerdings in getrocknetem Spinat. In frischem Gemüse sind die Inhaltsstoffe wesentlich geringer, das Komma musste um eine Stelle verschoben werden. Dies konnte dem spinatessenden Comic-Matrosen Popeye bis heute nichts anhaben.

Verbessern Karotten die Sehkraft?
Es ist zwar richtig, dass Vitamin A und dessen Vorstufen, also die grosse Gruppe der Carotinoide, wichtig für den Sehvorgang sind. Und damit auch die orangenen, gelben, roten Farbstoffe der Pflanzen oder auch das sogenannte Lykopin aus Tomaten. Aber: Damit stärken Karotten nicht die Sehkraft oder die Sehschärfe. Denn wichtig für die Augengesundheit ist neben den vererbten Voraussetzungen ein gesunder Lebensstil mit ausreichend Schlaf, genug Flüssigkeitszufuhr und Zeiten der Entspannung. Das alles kann aber eine benötigte Brille dennoch nicht ersetzen.

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Prof. Dr. Christine Brombach, ZHAW Life Sciences und Facility Management (Credit: zVg.)

Ist Margarine gesünder als Butter?
Werden Margarine und Butter verglichen, so enthalten beide ungefähr gleich viel Kilokalorien, etwa 720 kcal pro 100 Gramm. Letztlich steckt dahinter die Frage der Art der Fette. Und hier haben sich in den letzten Jahren viele neue Erkenntnisse durchgesetzt. Margarine besteht hauptsächlich aus Pflanzenölen, die durch chemische Prozesse gehärtet werden, damit sich Margarine analog zu Butter als Streich- oder Bratfett nutzten lässt. Pflanzenmargarinen schneiden heute im Vergleich manchmal leicht besser ab als Butter, wobei Butter und die enthaltenen Fette leichter verdaulich sind. Letztlich ist es eine Frage des Geschmacks und der Verwendungsart. So eignen sich beispielsweise zum Braten oder Frittieren Pflanzenmargarinen meist besser. Hinsichtlich Gesundheit gibt es keine grossen Vorteile von Margarine gegenüber der Butter.

Macht Milch müde Männer munter?
Ursprünglich stammt der Satz «Milch macht müde Männer munter» aus den 50er- und 60er-Jahren und war ein Marketing-Spruch, der sehr bekannt wurde und sich dank der gleichen Anfangslaute lange hielt. Was allerdings so einprägsam klingt, stimmt inhaltlich ganz und gar nicht. Denn Milch enthält keine Substanzen, die «wach» machen. Vielmehr solche, die eher müde machend wirken. So sorgt das Eiweiss Tryptophan dafür, dass der Körper den Botenstoff Melatonin bildet. Dieser ist wesentlich für den Schlaf-Wach-Rhythmus verantwortlich, indem er eben müde macht.

Schützt Rotwein vor Herzinfarkt?
Diese Frage bezieht sich auf das sogenannte «French Paradox». So zeigten grosse Studien, dass Menschen in Frankreich, die etwas Rotwein trinken, weniger häufig Herzinfarkte haben. Und «etwas Rotwein» bedeutet hier in geringen Mengen, also täglich nicht mehr als 100 Milliliter. Das tritt aber nur in Frankreich so auf und zeigt, dass es neben Rotwein noch weitere Faktoren sind, die ein Herzinfarktrisiko senken. Die Weltgesundheitsorganisation WHO weist neben anderen Ernährungsstudien aus, dass eine überwiegend pflanzen betonte, ballaststoffreiche Ernährung mit wenig rotem Fleischkonsum, viel Bewegung, ohne zu rauchen, mit der Vermeidung von Über- und Untergewicht sowie gezieltes Stressmanagement das Herzinfarktrisiko im Durchschnitt um einen Drittel gesenkt werden kann.

Gibt jedes Böhnchen ein Tönchen?
Relativ gering ist hier in der Schweiz der Konsum von sogenannten Leguminosen, also von Hülsenfrüchten wie beispielsweise Bohnen, Linsen oder Erbsen. Das ist sehr schade, denn diese Produkte sind sehr gesund, enthalten viele Eiweisse, Kohlenhydrate und vor allem auch die Ballaststoffe, die unseren Darm gesund erhalten. Und in der Tat müssen sich unsere Darmbakterien an die Mengen der Ballaststoffe erst langsam gewöhnen. So ist es ratsam, nicht gleich mit einer riesigen Menge an Leguminosen zu beginnen. Sonst sind Blähungen vorprogrammiert! Besser langsam den Anteil erhöhen und vor allem regelmässig, das heisst mindestens dreimal pro Woche davon essen. Das ist für den Darm sehr hilfreich und damit auch für unsere gesamte Gesundheit. Folgende Tipps helfen, Blähungen zu vermeiden oder zu verringern: Die Bohnen gut einweichen und das Einweichwasser wegschütten. Mit geschälten Leguminosen beginnen, zum Beispiel mit roten Linsen oder geschälten Bohnen.

Geht schlank im Schlaf?
Leider nein! Das ist «Wishful Thinking», also blosses Wunschdenken. Denn das Körpergewicht lässt sich weder «wegdenken», noch «verschwindet» es einfach über Nacht, auch wenn das marktschreierisch bei bestimmten Produkten versprochen wird. Langfristig notwendig sind zur Gewichtsreduktion einerseits mehr Bewegung, also die Steigerung des Verbrauchs an Energie, und andererseits die verringerte Energiezufuhr, also eine Reduktion des Inputs, sprich Nahrung. Dazu erforderlich sind sowohl ein recht komplexes Zusammenspiel von Lebensstiländerungen als auch eine entsprechende Ernährungsweise.

Hilft ein Schnaps zur Verdauung?
Nein. Nach schwerem Essen und zur Unterstützung der Verdauung rate ich vielmehr zu einer Mischung aus Fenchel-, Anis- und Kümmel- Samen, die gekaut werden. Denn die ätherischen Öle der Samen helfen, Verdauungsenzyme auszuschütten, ohne die Magenschleimhaut zu reizen, wie das Alkohol tut. Oder was auch hilft: sich an die altbekannte Regel zu halten «Nach dem Essen sollst Du ruhn oder tausend Schritte tun …»

Danica Gröhlich ist Redaktorin bei «GESUNDHEITHEUTE», der Gesundheitssendung am Samstagabend auf SRF 1.
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