Zwillinge: Wie ein Ei dem anderen?

Von Danica Gröhlich, 4. Mai 2022

Zwillinge: Wie ein Ei dem anderen?
Finde den Unterschied: Wie die Forschung an Zwillingen neue Erkenntnisse gewinnt.
(Verena Müller/© Universitätsklinikum Tübingen)

Eineiige Zwillinge faszinieren – auch die Forschung. Doch sind sie wirklich so gleich wie sie scheinen und wie können sie der Medizin der Zukunft helfen?

«Ich selbst bin zwar kein Zwilling, für mich als Mediziner sind sie aber extrem spannend», erklärt Prof. Dr. Andreas Stengel. Er ist Leitender Oberarzt und Stellvertretender Ärztlicher Direktor am Universitätsklinikum Tübingen in Deutschland. Zudem ist er Sprecher des laufenden Projektes TwinHealth, das im Rahmen der Zwillingsforschung eine grosse Zwillingskohorte über die gesamte Lebensspanne aufbaut und diese dann hinsichtlich der psychischen und körperlichen Gesundheit untersucht. «Eineiige Zwillinge sind deswegen so interessant, weil sie sich nahezu 100 Prozent ihres Erbgutes teilen und so dabei helfen zu ermitteln, für welche Krankheitsbilder oder Merkmale die Vererbung, also die Gene, verantwortlich sind und welche Merkmale wiederum mehr durch Umweltfaktoren erworben, beziehungsweise beeinflusst, werden.»

Herr Prof. Stengel, weshalb kommen heute mehr Zwillinge zur Welt als noch vor einigen Jahren?
Die Wahrscheinlichkeit für eine Zwillingsgeburt liegt bei etwa 1,2 Prozent, wobei es sich aber nur bei rund einem Drittel aller Zwillingsgeburten um eineiige Zwillinge handelt. Tatsächlich ist die Häufigkeit von Zwillingsschwangerschaften in den letzten Jahren deutlich gestiegen: Von 42 heute geborenen Kindern ist eines ein Zwilling. Die zwei Hauptgründe dafür sind zum einen der häufigere Einsatz von künstlicher Befruchtung, bei der oft mehr als nur eine befruchtete Eizelle eingesetzt wird, und das steigende Alter der werdenden Mütter. Beides sind Faktoren, welche die Wahrscheinlichkeit einer Mehrlingsgeburt erhöhen. Aber auch ein Body- Mass-Index der Mutter von über 30 kann eine Zwillingsschwangerschaft wahrscheinlicher machen. Ausserdem ist die Wahrscheinlichkeit für eine Zwillingsschwangerschaft grösser, wenn die Frau selbst Zwilling ist oder es innerhalb der Familie schon einmal Zwillinge gab. Ob es sich bei der Schwangerschaft dann allerdings um eineiige Zwillinge handelt, ist reiner Zufall und hängt, soweit wir wissen, nicht von einer genetischen Veranlagung ab.

Prof. Dr. Andreas Stengel, Ltd. Oberarzt und Stellv. Ärztlicher Direktor, Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Universitätsklinikum Tübingen DE (Verena Müller)

Sind eineiige Zwillinge wirklich so gleich wie sie äusserlich erscheinen?
Das ist leider nicht so einfach zu beantworten. Eineiige Zwillinge haben ja eine nahezu identische genetische Ausstattung und teilen meist auch vergleichbare Umweltfaktoren wie zum Beispiel den Lebensstil. Bei eineiigen Zwillingen ähneln sich sehr häufig Grösse, Augenfarbe, Haarfarbe und -struktur, Blutgruppe sowie natürlich die Gesichtszüge. So ist zum Beispiel die Face ID beim Smartphone vor eineiigen Zwillingen nicht sicher. Eine hundertprozentige Aussage zur Eiigkeit liefern diese Merkmale aber leider nicht. Auch der IQ sowie verschiedene Gehirnareale sind bei eineiigen Zwillingen, die gemeinsam aufgewachsen sind, sehr ähnlich. Interessanterweise lässt sich anhand einer sogenannten Ähnlichkeitsdiagnose mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit sagen, ob eine Eineiigkeit vorliegt: Hier werden verschiedene erblich bedingte Merkmale miteinander verglichen, beispielsweise die Haarfarbe, Augenfarbe oder die Tastlinien an den Fingerkuppen. Von einer Eineiigkeit kann dann ausgegangen werden, wenn diese Merkmale identisch sind.

Worin unterscheiden sich eineiige Zwillinge dann doch? Man weiss mittlerweile, dass selbst eineiige Zwillinge nicht immer ein identisches Erbgut haben. Das ist dadurch bedingt, dass es schon in der Entwicklungsphase im Mutterleib zu Mutationen der DNA kommen kann, die bei einem Zwilling auftreten können und beim anderen nicht. Tatsächlich liegen im Schnitt bei 15 Prozent der eineiigen Zwillinge solche genetischen Unterschiede vor. So gibt es bei eineiigen Zwillingen durchaus Unterschiede im Aussehen, Verhalten oder der gesundheitlichen Entwicklung. Konkrete Beispiele sind Fingerabdrücke oder Muttermale, die sich bei eineiigen Zwillingen unterscheiden. Unterschiede in physischen oder psychischen Merkmalen können also deutlich vorhanden sein, auch wenn die genetische Grundausstattung die gleiche ist.

Wie sieht es mit der Gesundheit von eineiigen Zwillingen aus?
Das ist eine sehr spannende Frage, die wahrscheinlich jeder, der sich mit Zwillingsforschung beschäftigt, versucht zu beantworten. Insgesamt lässt sich sagen, dass beispielsweise eine Krebserkrankung bei einem Zwilling mit einem insgesamt erhöhten Erkrankungsrisiko des anderen Zwillings einhergeht. Das höchste familiäre Risiko liegt bei Hodenkrebserkrankungen und Hautmelanomen. Die Wahrscheinlichkeit, an Hodenkrebs zu erkranken, wenn ein Zwilling bereits erkrankt ist, erhöht sich bei eineiigen Zwillingen etwa auf das 30-fache.

Welche Rolle spielt dabei auch die Umwelt?
Fälschlicherweise wird häufig angenommen, dass man aufgrund seiner Gene, zum Beispiel an einem Krankheitsrisiko, ohnehin nichts ändern kann. Durch Lebensereignisse, biologische und soziale Umstände sowie individuelle Verhaltensweisen kann ein zunächst identisches Erbgut nach der Geburt aber durchaus noch verändert werden. Die Ausprägung eines Merkmals lässt sich also über die Umwelt immer zu einem gewissen Grad lenken. Umweltfaktoren wie körperliche Aktivität, Ernährung und Rauchen haben einen starken Einfluss auf das epigenetische Profil. Nehmen wir als Beispiel die Schizophrenie: Bei 34 Prozent aller Zwillingspaare sind beide Zwillinge erkrankt, was uns sagt, dass die Erkrankung sowohl von den Genen als auch von Umweltfaktoren abhängig ist. Wie sieht das jetzt bei genetisch bedingten Erkrankungen aus? Hier sind häufiger beide Zwillinge betroffen, was ja aufgrund des identischen Erbgutes erst einmal logisch klingt – aber auch hier gibt es wiederum Ausnahmen. Ein Beispiel für eine überwiegend genetisch bedingte Erkrankung ist Morbus Crohn, eine chronisch entzündliche Darmerkrankung. Hier gibt es eineiige Zwillingspaare, bei denen ein Zwilling erkrankt ist und der andere nicht. Daraus lässt sich schliessen, dass auch bei vermeintlich überwiegend genetisch bedingten Erkrankungen die Epigenetik eine nicht unerhebliche Rolle spielt. Folglich sind Einflussfaktoren wie zum Beispiel biologische Bedingungen oder soziale Umstände wichtig. Die gute Nachricht ist also: Gleiche Gene bedeutet definitiv nicht gleiches Schicksal!


Das TwinHealth- Projekt

Das TwinHealth- Projekt Zu den Zwillingsstudien im Rahmen des TwinHealth-Projektes verschiedener Kliniken im deutschen Tübingen gehören auch Untersuchungen zum Gesundheitsverhalten wie Ernährung und Sport, aber auch zur körperlichen und psychischen Leistungsfähigkeit und natürlich zu Krankheiten, Krankheitsrisiken und ihrer Behandlung.

Eine derzeit laufende Studie ist zum Beispiel das Projekt TwinCORD. Hier soll untersucht werden, welche Erkrankungen bei einem Zwillingspaar vorliegen oder vorlagen, einzeln oder gemeinsam, um so den Einfluss von Genen und Umwelt zu untersuchen.

Weitere Informationen:
zwillingsgesundheit.de


Danica Gröhlich ist Redaktorin bei «GESUNDHEITHEUTE», der Gesundheitssendung am Samstagabend auf SRF 1.
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