Deshalb werden wir die Krise überwinden 

Von Danica Gröhlich, 26. Januar 2022

Public Health: Wie steht es um die physische und psychische Gesundheit der Bevölkerung? (iStock)

Kompetenz, Kooperation und Kontakt-Punkte: Welche Wege aus der Pandemie führen könnten. Ein Gespräch mit einem Gesundheitsforscher.

«Die Pandemie ist wie ein Vergrösserungsglas für gesellschaftliche Herausforderungen.» Davon ist Thomas Abel, Professor für Gesundheitsforschung an der Universität Bern, überzeugt.

Herr Prof. Abel, seit zwei Jahren leben wir mit Covid-19: Was sind Ihre Erkenntnisse der letzten Monate für unsere Gesundheit der Zukunft?
Da kommen mir gleich tausend Dinge in den Sinn. Zwei Punkte erachte ich aber als besonders wichtig: die Kommunikation und die Zusammenarbeit mit der Bev lkerung. An beiden Punkten g be es noch viel zu verbessern, da diese Themen eng zusammenhängen. Doch die Zeit drängt. Im Gegensatz zur Übergewichts- Epidemie, die langfristig angegangen werden kann, sind Sofort- Massnahmen gefragt. Jetzt ist eine Kooperation wichtig. Die Bevölkerung muss Raum bekommen.

Wie würde die Pandemie-müde Bevölkerung besser miteinbezogen?
Ich habe den Eindruck, sowohl die Politik wie auch die Wissenschaft sind ein Stück weit damit überfordert. Um die Bevölkerung miteinzubeziehen, hat die Politik eine grosse Spannweite: Von Jeder muss selbst entscheiden. bis hin zu Wir geben alle Massnahmen vor! . Zugleich bestehen auch enorme Wirtschaftsinteressen, welche die Politik ebenfalls zusammenbringen muss. Hier sehe ich das grundlegendste Problem. Wie werden alle gehört? Die Hauptfrage ist aber: Wer kommuniziert mit wem wie? Dabei geht es um die Kommunikation des unsicheren Wissens. Der Bevölkerung muss man klare Aussagen darüber machen, was man weiss und was nicht. Es darf nicht so getan werden, als sei sie nicht in der Lage, angemessen mit einer Wissensunsicherheit umgehen zu können. Nehmen Sie beispielsweise einen Autokauf. Gibt Ihnen der Händler nur die Angaben: «Vier Räder, Diesel oder Elektro» , dann wollen Sie doch als Käuferin oder Käufer mehr wissen als nur das Elementarste. Menschen können mit komplexen Sachverhalten umgehen. Das machen wir doch auch täglich in der Kindererziehung. Allerdings meine ich damit nicht, dass alles eine Sache der Eigenverantwortung ist. Gerade in der Pandemie geht es um Mitverantwortung: Die Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und die Bevölkerung tragen alle eine Verantwortung. Somit müssen die Menschen miteinbezogen und nicht nur als reine Virusträger behandelt werden.

Was kann dennoch jeder Einzelne für seine Gesundheit tun?
Die entscheidenden Fragen sind: Wie erlebe ich mich als Teil des Ganzen? Wie wichtig ist mir dabei die Gesundheit? Dass etwa zu viel Zucker schädlich ist, hat sich in der öffentlichen Debatte inzwischen durchgesetzt. Um Kinder dazu zu bewegen, keinen Zucker mehr zu essen, müssten wir die Wertigkeit von Gesundheit neu und positiv besetzten. Sie also als erstrebenswert ansehen, was Lebensqualität bringt und Freude macht. Denn Gesundheit ist eine Ressource. Dazu ist Achtsamkeit, aber auch ein kritischer Umgang mit dem Thema Gesundheit nötig, eine kritische Gesundheitskompetenz. Etwa, indem ich mir eine Zweitmeinung beim Arzt einhole. Nur so kann ich mich auf dieser Welt neben süssen, aber auch giftigen Früchten bewegen. Mit all den Fake-News ist das natürlich nicht so einfach. Wir sollten vertrauenswürdige Quellen heranziehen und uns nicht in Blasen, diesen Bubbles, bewegen. Auch sollte ich mir überlegen, welche Dinge ich für mich, meine Familie und sogar für mein Quartier tun kann. Mitverantwortung heisst, dass jeder Einzelne seinen Teil dazu beitragen kann, einen gesunden Lebensstil umzusetzen und sich auch für eine verkehrsberuhigte Zone einsetzt. Hört sich natürlich idealtypisch an. Aber dahin sollte es für die Schweizer Gesellschaft gehen, die ja auf liberale Ansätze geprägt ist.

Prof. Dr. Dr. Thomas Abel, Gesundheitsforscher am Institut für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Bern (z.V.g.)

Was bringen Vorsorgeuntersuchungen oder ist das hinausgeworfenes Geld?
Die Medizin ist heute schon sehr weit mit zuverlässigen Kriterien bezüglich Früherkennungsmassnahmen, beispielsweise bei einer Darmspiegelung. Ab welchem Alter was untersucht werden soll, darüber wird oft noch gestritten. Hier kommt wiederum die kritische Gesundheitskompetenz zum Zug: Welche Interessen stehen dahinter, dass solche Checks zu früh angesetzt werden? Informieren Sie sich bei Ihrem Hausarzt, damit zu der kritischen auch die interaktive Gesundheitskompetenz hinzukommt. Um auch alle Informationen zu verstehen, setzt das eine gute Arzt-Patienten- Kommunikation voraus. Studierende sollten diese bereits in der Ausbildung lernen. Wenn das Patientengespräch allerdings nicht abrechenbar ist, findet auch keine gute Aufklärung statt. Diese komplexen Zusammenhänge werden für das Fachgebiet Public Health noch zur grossen Herausforderung.

Geht die mentale Gesundheit in der Krankheitsprävention vergessen?
Schon längst hat die Weltgesundheitsorganisation WHO davor gewarnt, dass mentale Schwierigkeiten in den nächsten Jahren zum Hauptproblem werden. Darauf wird zwar reagiert, aber zu langsam. Hier muss deutlich rascher investiert werden. So kümmert sich die Arbeitsmedizin bereits um den Gesundheitsschutz, etwa für die richtige Sitzhöhe am Schreibtisch. Für die sich derzeit verschärfenden Arbeitsbedingungen gibt es aber noch keine geeigneten Kriterien. Von Pandemie-Beginn an war doch klar, dass auch die mentale Gesundheit belastet wird, etwa durch Isolation.

In der Folge wird auch Einsamkeit immer mehr zum Thema.
Seit Langem kennen wir in der klinischen Psychologie das Bild der Altersdepression. Diese hat viel mit Einsamkeit zu tun. In der Pandemie wurden dazu erst zeitverzögert Studien gemacht und gefördert. Der Virologie wurde der Vorrang gegeben. Jetzt sehen wir, dass viele junge Menschen unter einer milden Form der Einsamkeit leiden. Denn sie sind von grossen Netzwerken abhängig. Gegen Alterseinsamkeit könnten konkret Kinderspielplätze als Begegnungsräume entgegenwirken. Und bereits in der Wohnraumplanung sollten wir die soziale Integration im Blick haben. Einsamkeit ist prim r ein soziales Ph nomen. Deshalb kann der Einzelne nicht der Ansatzpunkt sein.

Und wo müsste die Wissenschaft in Krisenzeiten ansetzen?
Wenn die Politik sich an die Wissenschaft wendet, muss sie ein umfassendes Menschenbild haben. Dazu gilt es die Entscheidungsfindung in der Bevölkerung zu verstehen. Nicht nur, wie genau sich das Virus mutiert. Wie verarbeiten die Menschen Emotionen und führt das zu Einsamkeit und Frustration, sodass sie nicht mehr bereit sind mitzumachen? Das w re mein Wunsch an die Wissenschaft, damit wir diese Pandemie bald einmal überwinden.

Stimmt Sie trotzdem etwas positiv?
Positiv ist, sich vor Augen zu halten, dass mehr als 90 Prozent der Bevölkerung mitziehen. Das ist doch grossartig! Das gibt mir die Hoffnung, dass wir diese schwierige Krise überwinden werden. Was ist mit dem, was alles hervorragend funktioniert? Ich sehe zum Beispiel wunderbare Nachbarschaftshilfe. Deswegen bin ich grundsätzlich optimistisch. Auch wenn die Chancen ungleich verteilt sind. Aber wir haben eine gut funktionierende Infrastruktur und sind bestens organisiert. Deshalb glaube ich fest daran, dass wir aus dieser Krise herauskommen werden.

 

Danica Gröhlich ist Redaktorin bei «GESUNDHEITHEUTE», der Gesundheitssendung am Samstagabend auf SRF 1.
Empfehlen Sie diesen Beitrag weiter: