Ständiges Pfeifen und Rauschen im Ohr

Von Danica Gröhlich, 19. August 2020

Von aussen nicht sichtbar: Tinnitus-Geplagte geraten ohne Hilfe oft in einen Teufelskreis. (iStock)

Dieses Geräusch will einfach nicht verschwinden und treibt Betroffene beinahe in den Wahnsinn. Wenn Tinnitus das Leben bestimmt.

«Die Angst verstärkt den Tinnitus», bringt es Oberarzt Dr. Georgios Somakos auf den Punkt. Als Hals-Nasen- Ohren-Arzt am Kantonsspital Baselland muss er immer häufiger Patientinnen und Patienten, die aufgrund eines anhaltenden Geräusches zu ihm kommen, beruhigen. Doch was ist ein Tinnitus genau? «Ein Tinnitus ist ein Phantomgeräusch ohne externe Schallquelle», präzisiert der Experte. So gilt dieses Ohrensausen nicht als eine eigentliche Erkrankung, sondern als Symptom. Die Entstehung von Tinnitus gibt der Wissenschaft aber noch immer Rätsel auf, wie Ohrenarzt Somakos feststellt. «Früher dachten Wissenschaftler, dass es sich um eine Erkrankung des Innenohres handle. Inzwischen wissen wir, dass der Ton vom Gehirn oder den Hörnerven kommen kann.»

Wie ein surrender Kühlschrank

Patientinnen und Patienten beschreiben ihren Tinnitus sehr unterschiedlich: Als Pfeifton, wie ein Rauschen oder sie hören den eigenen Pulsschlag. Die Frequenzen reichen dabei von tiefem Brummen bis zu hohem Rauschen. Auch die Lautstärke wird subjektiv sehr unterschiedlich angegeben. Von 5 Dezibel, leiser als ein raschelndes Blatt, bis hin zu 50 Dezibel, was etwa dem Surren eines Kühlschrankes entspricht. Da keine objektive Messung möglich ist, zählt der Schweregrad, der zu einer massiven Belastung mit suizidalen Gedanken führen kann, wie Somakos weiss. Ein Tinnitus tritt zwar meistens beidseitig auf, muss aber nicht. Manchmal zeigt er sich abwechselnd zwischen beiden Ohren. Andere beschreiben ihn wiederum als zentral und nehmen ihn nicht in den Ohren, sondern im Kopf wahr. Auch die Dauer der Ohrgeräusche ist verschieden. «Ein Tinnitus, der bis zu drei Monate hörbar ist, gilt als akut. Einer, der zwischen drei bis 12 Monate andauert, nennen wir subakut. Besteht er länger als 12 Monate, dann ist er chronisch.»

«Der Ton kann vom Gehirn oder den Hörnerven kommen.»

Stress als Auslöser

Dr. med. Georgios Somakos, Leiter Neurootologie, Kantonsspital Baselland (zVg)

Die meisten sind beim ersten auftreten des Tinnitus zwischen 40 und 50 Jahre alt. Männer wie Frauen seien dabei gleichermassen betroffen. 40 Prozent der Bevölkerung haben in ihrem Leben vorübergehende oder chronische Ohrgeräusche. «Allerdings gehen davon nur gerade einmal sieben Prozent zum Arzt!» Etwa 17 Prozent leiden an chronischen Ohrgeräuschen – meist in höherem Alter. Denn mit zunehmendem Alter schwindet im Ohr die Anzahl der Nervenfasern, was möglicherweise zu Hörproblemen führt, die häufig mit Tinnitus zusammenhängen. Hier kann ein Hörgerät manchmal bereits helfen. «Auslöser für einen Tinnitus können ein Knalltrauma, ein Hörsturz mit plötzlichem und meist einseitigem Hörverlust sein oder eben eine Altersschwerhörigkeit», führt der Spezialist weiter aus. Auch eine schlechte Belüftung der sogenannten Tuben, etwa vier Zentimeter lange Röhren vom Ohr bis zum Nasenrachenraum, könnte die Ursache für ein Geräusch sein. Ebenso muskuläre Probleme von der Halswirbelsäule her oder von der Kaumuskulatur durch Zähneknirschen. Sehr selten seien Gefässfehlbildungen. «Jede Verletzung, die tiefer als das Trommelfell geht, kann Tinnitus auslösen – dann aber meist akut», warnt Somakos. So rät er auch dringend davon ab, die Ohren mit einem Wattestäbchen zu säubern. (Wie Sie die Ohren richtig reinigen, lesen Sie in der Info-Box.) Eine weitere Entwicklung bereitet den Fachärzten Sorge. «Aufgrund immer höherer Stressbelastung sehen wir inzwischen auch jüngere Menschen bei uns in der Sprechstunde», erklärt der Experte. Tinnitus-Patienten leiden häufiger und stärker unter Stress, wie Studien zeigen. So ist bei chronischem Dauerstress, familiär oder beruflich, ein Zusammenhang festzustellen. Auch ein dramatisches Lebensereignis wie ein Todesfall kann ein Ohr-Geräusch auslösen. Ein ungesunder Lebensstil mit viel Hektik führte in den letzten Jahren tatsächlich zu mehr Tinnitus-Fällen, bestätigt der Oberarzt. Zusätzlich belastend: Betroffene empfinden das Ohrgeräusch als bedrohlich, da es im Gehirn das limbische System für Emotionen aktiviert. Es kommt zu einem Teufelskreis.

«Betroffene empfinden das Ohrgeräusch als bedrohlich.»

Ruhepause oder gleich zum Arzt?

Plötzlich auftauchende Ohrgeräusche verschwinden in der Regel von alleine. Dann reiche eine Ruhepause für das Gehör, rät der Experte. Wenn diese aber länger als 24 Stunden anhalten, sollten Sie zu einem HNO-Arzt gehen – je früher, desto besser. Denn mit jedem Tag, den ein akuter Tinnitus länger anhält, sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass er von alleine wieder verschwindet. Stattdessen besteht das Risiko, dass er chronisch wird. Als erstes versucht der Ohrenarzt durch die Anamnese, die wichtigsten Informationen zu sammeln. Dann folgt die Untersuchung der Ohren und des Gehörs sowie ein Hörtest, um die Ursache zu finden. Führen andere Behandlungsmethoden nicht zum Erfolg, kommt die Retraining-Therapie zum Einsatz. Dabei sollen sich Betroffene auf die Umgebungsgeräusche konzentrieren statt auf die inneren. Das Gehirn gewöhnt sich mit der Zeit daran und blendet den Tinnitus aus. Angenehme Klänge vor dem Schlafengehen unterstützen diese Methode. Denn viele Tinnitus-Geplagte leiden unter Schlafstörungen. Zudem sollen Entspannungstechniken wie autogenes Training oder Yoga helfen, um zu lernen, mit den Ohrgeräuschen umzugehen. Auch verschiedene Medikamente können wirken. Daneben ein pflanzliches Präparat aus Ginkgo-Extrakt, das die Durchblutung fördern soll. Je nach dem, woher die Geräusche kommen oder auch «nur», um die Nerven zu beruhigen.


Warum Wattestäbchen nichts im Ohr zu suchen haben

Eine direkte Ohrreinigung ist nicht nötig, da sich der Ohrenschmalz selbst nach aussen befördert.

Sie können diesen dann im Eingangsbereich des Gehörganges entfernen. Ein Wattestäbchen kann im schlimmsten Fall das Trommelfell verletzen.

Zudem wird dadurch die Selbstreinigung verhindert und Ohrenschmalz staut sich im Gehörgang an, was zu einem vollständigen Verschluss des Gehörganges führen könnte, einem Cerumen obturans.

Ebenfalls kann es zu einer Infektion im äusseren Gehörgang kommen, einer sogenannten Gehörgangsentzündung. Am besten reinigt ein Facharzt das Ohr bei einer Verstopfung mit Hörminderung mechanisch.

Alternativ besteht die Möglichkeit, den Ohrenschmalz mittels Wasserspülung durch den Hausarzt entfernen zu lassen.


Danica Gröhlich ist Redaktorin bei «gesundheitheute», der Gesundheitssendung am Samstagabend auf SRF1.
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