Unterstützung fürs Immunsystem

Von Danica Gröhlich, 1. April 2020

Prof. Dr. Claudia Witt (Credit: Frank Brüderli)

Täglich begleitet sie Krebskranke, jetzt bietet die Ärztin Claudia Witt Selbsthilfe in der Corona-Krise an.

«Verständlicherweise machen sich viele in diesen Zeiten Gedanken, oft negative. Es können auch Ängste aufkommen», stellt Prof. Dr. med. Claudia Witt fest. Sie ist seit 2014 die Direktorin des Institutes für komplementäre und integrative Medizin am Universitätsspital Zürich USZ. Wichtig sei es deshalb, sich über seriöse Quellen zu informieren. Dafür gibt es die offiziellen Kanäle wie das Bundesamt für Gesundheit BAG. Auch das «Kopfkino», das Stress auslösen kann, sollten wir in positive Handlungen umsetzen, so die Empfehlung der Ärztin. Hygiene- Massnahmen wie das Waschen der Hände, die stark mit einer drohenden Infizierung verknüpft sind, könnten in den guten Gedanken umgewandelt werden: «Ich schütze mich.» Wie ihr Klinik-Alltag inzwischen aussieht, was die Kraft der Gedanken bewirken kann und mit welcher Übung Sie Stress reduzieren, hat uns die Professorin am Telefon verraten.

Frau Prof. Dr. Witt, wie sind Sie eigentlich zur Komplementärmedizin gekommen?
Das werde ich tatsächlich oft gefragt. (lacht) Die Antwort ist aber völlig unspannend. Ich habe auch kein Heilserlebnis erfahren. Es hat mich einfach immer neugierig gemacht, dass so viele Menschen Komplementärmedizin nutzen. In unserem Institut versuchen wir, den Menschen als ganze Person wahrzunehmen. Ich sage immer, dass wir den Patienten gerne in 360 Grad sehen.

Wer sucht bei Ihnen Hilfe?
Krebspatienten bilden die grösste Gruppe. Zur normalen Krebstherapie erhalten diese Menschen von uns zusätzlich unterstützende Massnahmen, um die Nebenwirkungen zu reduzieren und die Lebensqualität zu verbessern. Wir behandeln auch viele Patienten mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen wie Colitis ulcerosa oder Morbus Crohn, aber auch mit funktionellen Darmerkrankungen wie dem Reizdarmsyndrom. Hier arbeiten wir eng mit den Magen-Darm-Spezialisten der Gastroenterologie zusammen. Generell ist die Kooperation mit anderen Kliniken sehr wichtig. Die meisten Hilfesuchenden werden von Kollegen zugewiesen. Auch externe Anmeldungen sind möglich. Es sind sogar Patienten aus der Romandie für unsere Sprechstunde angereist.

Welche Behandlungen bieten Sie an?
Wir wenden Verfahren an, die evidenzbasiert sind, zu denen es also wissenschaftliche Daten gibt. Deshalb arbeiten wir mit der Mind Body Medicine, Akupunktur, Hypnose oder Pflanzenheilkunde. Auch Yoga oder die chinesische Meditations- und Bewegungsform Qigong bei Krebspatienten kann die Lebensqualität unterstützen. Wir passen uns ständig den Veränderungen und auch der Studienanlage an. Dabei berücksichtigen wir die Expertise der Behandler sowie die Werte und Wünsche der Patienten, die zusammen mit der klinischen Forschung die drei Säulen der evidenzbasierten Medizin bilden.

Was ist die Mind Body Medicine?
Bereits in den 1960er-Jahren hat der Arzt Herbert Benson diesen Grundgedanken an der Harvard Medical School in Boston entwickelt. Im Prinzip ist die Mind Body Medicine ein didaktisches Konzept mit dem Leitmotiv, dass man Körper und Psyche mehr zusammenbringen und die Selbstwirksamkeit beim Menschen fördern möchte. Dadurch lässt sich in einer schwierigen Situation einfacher eine Lösung finden. Zudem sollen Symptome reduziert werden. Ganz viele Self-Care-Massnahmen sind hier gefragt. Also alles, was wir selber tun können. Je nach Erkrankung sehen die Inhalte zum Beispiel für die Ernährungsempfehlung anders aus. Doch auch bei Gesunden lässt sich dieses Konzept zur Erhaltung einsetzen. Dabei geht es um Techniken zur Verhaltensänderung.

Welche Rolle spielt die Psyche oder die Kraft der Gedanken?
Bereits die Gespräche mit den Patienten sind etwas sehr Wichtiges. Hierbei begegnen wir uns auf Augenhöhe. Wir können durch eine empathische Kommunikation negative Erwartung reduzieren, damit es nicht zum sogenannten Nocebo- Effekt kommt. Denn im Gegensatz zur positiven Wirkung beim Placebo-Effekt folgt beim Nocebo eine negative Reaktion. Ängste sind generell ein Thema bei uns. Der Patient kommt zwar nicht weil er Angst hat, sondern, weil er etwas zusätzlich zur Krebstherapie machen will. Meist kommt die Angst dann aber bei unseren Gesprächen doch heraus. Den Patienten zeigen wir dann Entspannungsoder Atemübungen. Krebspatienten leiden zudem oft unter Schlafstörungen und Müdigkeit, dem Fatigue-Syndrom. Wir geben ihnen dann Optionen, wie ein Werkzeugkoffer. Wenn jemand keine Nadeln mag, macht Akupunktur natürlich keinen Sinn. Dann wäre vielleicht Yoga eine Option. Allerdings muss die Motivation für eine Verhaltensänderung da sein – in vernünftigem Masse. Also keine extremen Diäten oder etwas, womit man sich nur kasteit.

Wie wichtig für Ihre Arbeit ist derzeit die moderne Technik?
Wir sind zum Glück in der schönen Lage, dass wir Spass an Technik haben. Wir können Patienten digital betreuen. Beispielsweise über Video-Telefonie. Für mich ist es sehr wichtig, nicht nur die Stimme am Telefon zu hören. Wenn ich den Patienten noch nicht gut kenne, sehe ich so auch gleich, wie es ihm geht und wie fit er ist. Wir forschen auch zu Apps. Es zeigt, dass auch Komplementärmedizin modern sein kann und sich fortlaufend der Entwicklung anpasst.

Gilt das auch für die Corona-Krise?
Auf jeden Fall, wir sind fast nur noch digital tätig! Wir haben auch beobachtet, dass sich viele Menschen mehr Gedanken über ihr Immunsystem machen und dann wahllos Vitamine einnehmen. Deshalb hatte unser Team das Bedürfnis, etwas Sinnvolles herauszugeben. Etwas, das uns gut tut und wofür keine teure Anschaffung nötig ist. Wir haben nun für alle Interessierten im Sinne der Mind Body Medicine eine Internet-Seite (Link in der Info-Box) mit Tipps aufgeschaltet. Denn das Immunsystem wird nachweislich fitter, wenn wir es mit einem gesunden Lebensstil unterstützen, dem ständigen Stress mit Entspannung entgegenwirken. So zeigen wir unter anderem einfache Atemübungen oder Meditationen.

Hätten Sie denn noch einen Tipp, falls einem die Decke auf den Kopf fällt oder Angst aufsteigt?
Ja gerne, hier meine Lieblingsatemübung: Beobachten Sie, wie Ihr Atem in den Körper hinein- und wieder hinausfliesst und vertiefen Sie dabei Ihre Atmung leicht. Verlängern Sie nun für 10 bis 12 Atemzüge die Ausatmung, so dass diese länger als die Einatmung dauert.


Hilfreiche Links zu Corona

  • Informieren Sie sich auf der Website des Bundesamtes für Gesundheit BAG über aktuelle Empfehlungen:
    www.bag-coronavirus.ch
  • Coronavirus: Unterstützende Massnahmen aus der Mind Body Medicine, herausgegeben vom Institut für komplementäre und integrative Medizin, Universitätsspital Zürich USZ:
    www.mbm-usz.ch/corona
  • Für ältere Menschen gibt es zusätzlich die Empfehlungen des Universitären Geriatrie-Verbundes Zürich:
    www.geriatrie.usz.ch

Danica Gröhlich ist Redaktorin bei «gesundheitheute», der Gesundheitssendung am Samstagabend auf SRF1.
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