Jetzt ist Rückenschmerzen-Saison

Von Nadine A. Brügger, 23. Oktober 2019

Fast jede Schweizerin leidet in ihrem Leben mindestens einmal an Rückenschmerzen. (iStock)

Der Herbst ist da. Er bringt Kälte – und für viele Rückenschmerzen. Warum das so ist, was hilft und was nur Mythos ist, weiss die Physiotherapeutin Barbara Zindel.

Eine von zehn Schweizerinnen und Schweizern bleibt verschont. Die übrigen neun trifft es. Manche kurz und heftig, andere dumpf und nimmer endend. «Rückenschmerzen sind das grosse Gesellschaftsleiden unserer Zeit», sagt Barbara Zindel, Physiotherapeutin bei der Rheumaliga Schweiz.

Gerade ist die Lage besonders akut. Herbst und Winter sind Rückenschmerz-Saison. Denn sie bringen die Kälte zurück ins Land. «Die Erfahrung zeigt: Das Risiko, dass man an Rückenschmerzen leidet, ist in der kälteren Jahreszeit höher»,so Zindel. Das hat auch damit zu tun, dass der Mensch Kälte eher als unangenehm empfindet. Bei Kälte spüren viele ihre Schmerzen intensiver, als in der Sommersonne. Die Schmerzgrenze ist zwar auch bei Kälte individuell. Doch wann immer wir unsere ganz persönliche Schwelle überschreiten, fühlen wir uns unwohl und empfindlicher. Die Muskeln ziehen sich zusammen – wir sind verspannt.

Muskel-Schmerz

Die Beine hochzulagern kann die Rückenmuskulatur entlasten und
damit den Schmerz verringern.
(Rheumaliga Schweiz)

«Schmerzen im Rücken kommen selten von den Nerven selber», erklärt Zindel, «meist besteht ein Ungleichgewicht in der Muskulatur. Sie ist angespannt, verkrampft oder einseitig belastet. Das ist der Schmerz, den die Betroffenen fühlen.» Obwohl der Schmerz atemberaubend sein kann – aus medizinischer Perspektive sind Rückenschmerzen meist harmlos. Einen Arztbesuch empfiehlt die Spezialistin erst, wenn die Schmerzen über vier bis fünf Wochen gleich bleiben.

Das allerdings ist selten der Fall. «90 Prozent aller Rückenschmerzen verändern sich in den nächsten drei bis fünf Tagen. Die Muskulatur löst sich und der Schmerz wird schwächer», so Zindel. Bei der Hälfte aller Patienten sind die Schmerzen nach einer Woche weg. Doch was ist bis dahin zu tun? Über Rückenschmerzen kursieren die verschiedensten Gerüchte.

«Der Rücken reagiert nicht gut auf Alltagstrott. Er braucht Abwechslung.»
Barbara Zindel, Physiotherapeutin

Mythen über Rückenschmerzen:

  • Zu weiches Bett
    Harte Matratze? Weiche Matratze? «Was dem Rücken gut tut, ist wahnsinnig individuell. Das kommt auf die Schlafposition, das Gewicht und persönliche Vorlieben an», sagt Zindel. «Eine leichte Person bekommt auf einer harten Matratze eher noch mehr Schmerzen.»
    Wer morgens allerdings gerädert aus den Federn kriecht, kann sich bei der «IG richtig Liegen und Schlafen» individuell beraten lassen. Viele Matratzenhersteller, besonders die lokalen, gewähren zudem eine Testphase. Passt die Matratze nicht, lässt sich ihr Kern meist kostenlos gegen einen anderen austauschen. Das ist gut, denn: «Bis man weiss, ob eine Matratze passt oder nicht, braucht es mindestens zehn Nächte darauf.»
  • Den Rücken schonen
    Den Rücken bei Schmerzen zu schonen, ist der grösste Mythos überhaupt. «Klar, in der akuten Schmerzphase geht Bewegung erstmal schlicht nicht. Sich langfristig still zu halten, ist aber Gift. «Man muss sich bewegen, das ist sogar sehr wichtig», betont Zindel. «Was meistens auch bei starken Schmerzen geht, ist die Böckli-Lagerung. Damit wird der Rücken minimal belastet. Oder ins Bett liegen, die Beine aufstellen und mit dem kleine Becken Roll-Bewegungen machen. Das entspannt ebenfalls.»
  • Wärme lindert
    «Wärme hilft bei akuten Rückenschmerzen den wenigsten. Lindernd wirkt vor allem in den ersten Tagen das Gegenteil: Kälte.» Erst am nächsten oder übernächsten Tag, wenn nur noch die Muskulatur verspannt ist, verschafft Wärme Erleichterung.
  • Schmerzmittel behandeln nur die Symptome
    Vom tapfer sein und auf die Zähne beissen, rät Zindel vehement ab. «Schmerzmittel wie Dafalgan oder Panadol sind in den ersten zwei bis drei Tagen in Ordnung. Denn was schmerzt, ist selten der Nerv. Meist ist es die Muskulatur. Schmerzmittel helfen, diese zu entspannen.»
    Eine permanente Lösung sind sie aber nicht. «Bei wiederkehrenden Rückenschmerzen ist es wichtig, zu lernen, wie Dinge zu tragen oder anzuheben, um den Rücken zu schonen», so Zindel. Am besten hilft allerdings, die Rückenund Bauchmuskulatur gleichmässig zu trainieren. «Ganz besonders die Tiefenmuskulatur», betont die Spezialistin.

Bei der Hälfte aller Patienten sind die Rückenschmerzen nach einer Woche weg.

  • Langes Sitzen schadet
    «Wir sitzen zu oft und das tut dem Rücken unwohl», bestätigt Zindel. Allerdings ist es nicht das Sitzen an sich, das uns schadet. Es ist die Dauer und Regelmässigkeit, in der wir es praktizieren. «Unserer Gesellschaft fehlt der Ausgleich», sagt die Spezialistin. «Wir sitzen bei der Arbeit, dann gehen wir ins Fitness, wollen unserem Rücken etwas Gutes tun – und sitzen an den Geräten erneut».
    Wer bei der Arbeit viel sitzt, dem empfiehlt Zindel kurze Bewegungseinheiten, die sich in den Alltag einbauen lassen. Zwei Stationen früher aussteigen und ins Büro laufen, zum Beispiel. In der Mittagspause einen Spaziergang machen und sich jede Stunde ausgiebig und bewusst strecken. Oder bei Kaffeemaschine und Kopierer nicht einfach still stehen, sondern sich bücken und langsam wieder aufrichten. All das helfe. Denn: «Der Rücken reagiert nicht gut auf Alltagstrott», sagt Zindel, «der braucht Abwechslung.»
    In dem man sich wenige Minuten oder gar nur Sekunden nehme, um eine Gegenbewegung zu seiner gewöhnlichen Haltung zu machen, helfe das sehr. «Viele Leute hätten ein Stehpult – benutzen es aber nie. Sie müssen sich austricksen. Das Pult zum Beispiel vor dem Mittag hochstellen, damit es bereits oben ist, wenn sie zurückkommen. Wer dagegen während der Arbeit oft steht, dem tut es viel besser, sich auch einmal hinzusetzen. Dann ist das die Abwechslung, die der Rücken braucht.»
    Nach Feierabend empfiehlt Zindel längere Bewegung: «Spazieren, zügig gehen oder Velo fahren – solche längeren Ausdauer-Einheiten sind sehr wichtig.»
Wenn der Rücken einen weiterhin plagt, gibt es bei der Rheumaliga die kostenlose Broschüre «Ihrem Rücken zu liebe» mit Tipps zu Bewegungen, die den Rücken entlasten und Übungen, die ihn stärken.

Die Autorin dieses Artikels, Nadine A. Brügger, ist Redaktorin bei «gesundheitheute», der Gesundheitssendung am Samstagabend auf SRF1.
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