«Keiner ist so toll wie ich»

Von Nadine A. Brügger, 7. August 2019

Der griechischen Legende nach soll der schöne Narziss sich in sein eigenes Spiegelbild verliebt haben. (iStock)

Sie denken, Narzissten halten sich für die Besten? Das Gegenteil ist wahr. Und doch tut eine Portion gesunder Narzissmus uns Menschen manchmal gut.

Die Geschichte beginnt mit einem hübschen jungen Mann, so hingerissen von sich selber, dass kein anderer Mensch ihm gefällt. «Was für ein Narzisst», werden Sie denken – und damit genau ins Schwarze treffen. Denn so beginnt der griechische Mythos des schönen Narziss.
Der Mythos wurde Medizin: Heute meint Narzissmus eine Persönlichkeitsausprägung mit einem übersteigerten Selbstbild.

Andrea Bender ist selbständige Psychotherapeutin und Dozentin am Klaus-Grawe-Institut in Zürich. (zVg)

Gesunder Narzissmus

Von einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung, also einer psychischen Erkrankung, sprechen Spezialisten erst, wenn die Betroffenen oder ihr Umfeld leiden. «Es gibt aber auch narzisstische Anteile, die man nicht als Störung diagnostizieren muss», sagt Psychotherapeutin Andrea Bender. Ganz im Gegenteil: Die Psychotherapeutin spricht dann von «gesundem Narzissmus».

«Eine Studie zeigt, dass Menschen, die sich tendenziell überschätzen, sich auch mehr zutrauen. So erreichen sie Ihre Ziele besser – und sind zufriedener – als selbstkritischere Personen, die sich eher unterschätzen. «Je höher man in der Hierarchie von Unternehmen steigt, umso öfter trifft man auf Menschen mit narzisstischen Mustern», sagt Bender. «Denn es braucht einen gewissen Narzissmus, um es so weit zu bringen.»

Narzissmus als Motor für Karriere- und Lebensziele? Zumindest, solange keine unvorhergesehenen Probleme auftreten. «Narzisstische Muster können ganz schnell ins Negative kippen», sagt Bender. «Wenn es zum Beispiel zu einer Kündigung kommt oder eine Beziehung zu Ende geht, kann das zu einer schmerzhaften Kränkung und Verunsicherung führen. Dann fehlen Bestätigung und Anerkennung von aussen.» Genau das also, was Narzissten dringend brauchen.

Kranke Selbstliebe

Von krankhaftem Narzissmus betroffen sind laut einer neuen US-Studie in Nordamerika rund 7.7 Prozent der Männer und 4.8 Prozent der Frauen. Tendenz steigend. In der Schweiz dürfte es ähnlich sein, denn unsere westliche Gesellschaft fördert narzisstische Züge. Erfolg im Leben definieren wir in erster Linie durch eine steile Karriere und einen guten Lohn. Gleichzeitig arbeiten wir vor allem via Sozialer Medien ständig an unserer eigenen Marke. Wir posten Bilder und Gedanken, die uns ins beste Licht rücken. Unser virtuelles Publikum applaudiert mit Klicks und Likes. Warum also sehen wir Narzissmus überhaupt noch als Krankheit?

Narzissten haben oft Mühe, Beziehungen zu halten, können mit Niederlagen schlecht umgehen, Fehler nicht eingestehen und fühlen sich bei der kleinsten Kritik als Person in Frage gestellt. «Denn sie unterscheiden ihre Person nicht von ihrem Verhalten. Wenn sie einen Fehler machen, denken sie nicht ‹das war dumm›, sie denken ‹ich bin dumm› – und halten sich für wertlose Versager.»

Der konstante Drang, in den Augen anderer gut dazustehen und nach aussen hin zu glänzen, kann zu einem respektablen Kollateralschaden führen. Weil der eigene Erfolg des Narzissten grösstes Glück ist, entwickelt er rasch Eifersucht und Neid. «Ein narzisstischer Chef fördert seine Untergebenen nur, wenn es ein gutes Licht auf ihn selber wirft. Ansonsten kann es sehr schnell ungemütlich werden. Da narzisstische Persönlichkeiten sich ständig vergleichen, fühlen sie sich bedroht und minderwertig bei Erfolgen von anderen und werten diese ab, um sich somit selber aufzuwerten», so Bender.

Narzissten haben oft grosse Mühe, sich einer Situation anzupassen. Denn der Narzisst sieht sich selber als Alpha-Tier. «Das spannende ist: Narzissten sind sehr gut darin, zu erkennen, was ihr Gegenüber braucht. Dieses Wissen wenden sie aber oft nur dann an, wenn es ihnen selber etwas bringt. Sie manipulieren und nutzen Personen und Situationen als Instrumente auf dem Weg zu ihrem Ziel.»

Samthandschuhe und Kontrolle

Wer sich gegen ungerechtes Verhalten zur Wehr setzt, löst oft gleich den nächsten Trigger aus. «Narzissten sind extrem kränkbar. Oft berichten Menschen aus ihrem Umfeld, dass sie die Personen mit Samthandschuhen anfassen, um Konflikte zu vermeiden.» Von Erfolg ist das Verhalten selten gekrönt: «Der Konflikt findet so oder so in den Personen selber statt», so Bender.

Fühlt ein Narzisst sich bedroht, greif er lieber selber an. «Das hilft der Person, ein Gefühl von Kontrolle zu behalten und keine Schwäche zu zeigen.» Weil Kontrollverlust und Verletzlichkeit in der Biographie vieler Narzissten schlechte Erinnerungen wecken, setzen sie alles daran, dies zu vermeiden. «Besonders in Beziehungen schwanken Narzissten zwischen übertriebener Idealisierung des Partners und absoluter Abwertung, sollte dieser einen Fehler machen.»

Diese – und auch alle anderen – Schwächen behält der Narzisst aber lieber für sich. Unsicherheit, Fehlbarkeit oder gar Verletzlichkeit zu zeigen, macht ihm grosse Angst. «Um Schwächen zu überspielen, zeigen Menschen mit narzisstischen Störungen oft ein sehr prahlerisches Verhalten. Ihr Umfeld nimmt sie als arrogant, überheblich und eingebildet wahr.» Seinen Ursprung hat das Gleichsetzen des eigenen Wertes mit dem Erfolg des eigenen Verhaltens, meist in der Kindheit.

«Oft sind Narzissten ohne bedingungslose Liebe aufgewachsen. Sie haben gelernt, dass ihre Eltern nur Stolz und Liebe zeigen, wenn sie gute Leistungen bringen und gefallen. Daraus schliesst das Kind, dass es ohne Erfolge nicht genug wert sind», erklärt Bender. Wenn sich diese negativen Überzeugungen über sich selbst und über Beziehungen verfestigen, kann sich eine Persönlichkeitsstörung entwickeln. Doch daran kann in der Therapie gearbeitet werden. «Wichtig dabei ist: Nicht die Person selber ist krank und schlecht, sondern ihr Verhalten ist ungünstig. Wer in eine Therapie geht und bereit ist, an seinen Mustern zu arbeiten, dem kann das sogar im hohen Alter noch gelingen.»

Nadine A. Brügger ist Redaktorin bei «gesundheitheute», der Gesundheitssendung am Samstagabend auf SRF1.
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