Können wir uns gesund hungern?

Von Danica Gröhlich, 10. Juli 2019

Können wir uns gesund hungern?
Heute kommt nichts auf den Tisch: Fasten als Heilmittel? (iStock)

Fasten ist in aller Munde. Welche Formen es gibt, was eine Pause in der Nahrungsaufnahme bringt und wer besser die Finger davon lassen sollte.

Stéphanie Bieler BSc, Schweizerische Gesellschaft für Ernährung SGE
Stéphanie Bieler BSc, Schweizerische Gesellschaft für Ernährung SGE (zVg)

16:8 oder doch 5:2? Was wie ein Geheimcode klingt, beschreibt verschiedene Methoden des Fastens. Aber was ist Fasten genau? Ernährungsberaterin Stéphanie Bieler von der Schweizerischen Gesellschaft für Ernährung SGE erklärt: «Es gibt unzählige Varianten des Fastens. Allen gemeinsam ist, dass bewusst aus einer bestimmten Motivation heraus für einen längeren Zeitraum auf feste Nahrung und/oder Genussmittel verzichtet wird.» So wird etwa aus religiöser Überzeugung gefastet, zur Entschlackung und Regeneration während einer Heilfastenkur oder mit dem Ziel, eine langfristige Gewichtsregulierung anzustreben.

Stunden statt Kalorien zählen

Trotz einer möglichen Gewichtsreduktion ist Fasten aber keine Diät, vielmehr eine Art zu essen. Denn beim Fasten werden nicht Kalorien gezählt, sondern Stunden. Auf grosses Interesse stösst deshalb das sogenannte Intervallfasten oder intermittierendes Fasten. Dabei wird die regelmässige Verpflegung durch wiederkehrende Phasen des Fastens unterbrochen.

Eine Variante des Intervallfastens ist die 16:8Methode. Hierbei beschränkt sich die tägliche Zeit des Essens auf acht Stunden. In den darauffolgenden 16 Stunden verzichtet die Person dann bewusst auf feste Nahrung und kalorienhaltige Getränke. Wie könnte ein solcher Zeitplan aussehen? Gegessen wird beispielsweise zwischen 10 und 18 Uhr oder zwischen 13 und 21 Uhr. Danach folgen 16 Fastenstunden. Wird die erste Mahlzeit noch weiter aufgeschoben, so fastet diese Person bis zu 19 Stunden. Am Wochenende wird wieder wie gewohnt gegessen oder der Rhythmus wird gleich beibehalten.

«Dinner-Cancelling ist eine weitere Variante des Fastens.»

Eine weitere Methode ist das alternierende Fasten. Hierbei wird abwechselnd an einem Tag nichts oder fast nichts – maximal 500 Kalorien, was etwa einem Viertel des üblichen Tagesbedarfes eines gesunden Menschen mit wenig Bewegung entspricht – gegessen und am nächsten Tag wieder ganz normal.

Bei der 5:2-Variante wird an fünf Tagen pro Woche wie gewohnt gegessen, an zwei frei gewählten Tagen wird die Nahrung ebenfalls auf einen Viertel der üblichen Menge reduziert. Besonders jetzt im Sommer lassen einige wegen des fehlenden Appetites aufgrund der Hitze ab und zu ihr Abendessen ausfallen. Das sogenannte Dinner-Cancelling kann als eine weitere Variante des Intervallfastens angesehen werden, da durch das Auslassen eine Essenspause von etwa 14 Stunden entsteht.

Was im Körper passiert

Normalerweise ist Essen heute rund um die Uhr verfügbar. Der Körper hat keine Not, auf seine Reserven zurückzugreifen. Im Gegenteil: Überschüssige Kalorien werden als Fettdepots eingelagert. Beim Fasten bekommt der Körper im Gegensatz zu einer Diät nicht auf Dauer zu wenig Nahrung, sondern vorübergehend gar keine. Er muss seine Reserven anzapfen und schaltet auf Fettverbrennung um. Da der Stoffwechsel beim Fasten anders ist, bleibt zudem der gefürchtete JoJo-Effekt aus. Denn wird der Körper auf Diät gesetzt, passt er sich der verringerten Energiezufuhr an, senkt den Verbrauch. Der Grundumsatz bleibt auch dann niedrig, wenn die Diät längst beendet ist. Die Folge: Nach dem Abspecken «bunkert» der Körper erneut, was er bekommen kann, wir nehmen wieder zu.

Seit der japanische Forscher Yoshinori Ohsumi 2016 den Nobelpreis für seine Arbeit zur Autophagie erhielt, eine Art zelluläre Müllabfuhr, gilt Fasten als Verjüngungskur. Dabei fressen Zellen defekte oder alte Bestandteile selbst auf und recyceln den «Abfall». Die Autophagie wird aber erst nach einigen Stunden des Fastens aktiviert. Forscher gehen von 12 Stunden aus, dann beginne der Körper sich selbst zu heilen. So werde etwa die Bildung von Hirnzellen gefördert und Demenz vorgebeugt. Der Nahrungsentzug kann gar wie eine Droge wirken. Wissenschaftler haben den Hormonspiegel von freiwillig Hungernden gemessen und erhöhte Werte von Serotonin und Opioiden gefunden. Serotonin dämpft das Hungergefühl, aber auch Angst und depressive Stimmungen. Zugleich unterdrücken körpereigene Opioide Schmerzen. Mit Ausschüttung dieser Stoffe hilft sich der Körper, das Fasten zu überstehen. Das «Fasten-High» bewahrte den Urmenschen davor, in seiner Höhle zu verhungern. Er ging voller Zuversicht jagen und sammeln.

«Der Nahrungsentzug kann wie eine Droge wirken.»

Des Weiteren könne Fasten den Blutdruck und den Cholesterinspiegel senken. Chronische Schmerzen, etwa bei Rheuma oder Arthritis, sollen ebenfalls gelindert werden. Der Darm und unser grösstes Entgiftungsorgan, die Leber, erholen sich während der langen Essenspausen. Zusätzlich wird dann kaum Insulin produziert. Menschen mit Diabetes 2 und Vorstufen könnten deshalb davon profitieren.

Ist Fasten das neue Allheilmittel und lässt sich damit sogar Krebs aushungern? Ernährungsberaterin Stéphanie Bieler sieht diese Entwicklung kritisch: «Die Schweizerische Gesellschaft für Ernährung empfiehlt Fasten nicht, da bisher zu wenig über die Langzeiteffekte bekannt ist.» Ausserdem: «Ein möglicher Nutzen bei Krebstherapien konnte bisher in keiner wissenschaftlichen Untersuchung bestätigt werden. Davon ist dringend abzuraten, da das Risiko einer Mangelernährung dadurch deutlich erhöht wird.»

Wer nicht fasten sollte

Der Körper ist zwar evolutionsbedingt auf Zeiten ohne Nahrung eingestellt, die Ernährungsberaterin warnt aber: «Für gesunde Erwachsene scheint im Prinzip nichts gegen Fasten zu sprechen. Wer jedoch an Erkrankungen leidet und Medikamente einnimmt, bespricht das Fastenvorhaben am besten mit dem Arzt.» Ausgenommen sind Schwangere, stillende Mütter sowie Kinder und Jugendliche. Für sie wäre das Risiko eines Nährstoffmangels zu gross. Auch bei Untergewicht ist davon abzuraten. Noch unklar ist, ob Intervallfasten zu Essverhaltensstörungen führt. Diabetiker sollten mit einem Arzt den Blutzuckerspiegel überwachen, der durch Fasten gesenkt wird. Zusammen mit Medikamenten könnte es sonst zu einer lebensgefährlichen Unterzuckerung kommen. Generell sollte beim bewussten Verzicht von fester Nahrung genug Flüssigkeit aufgenommen werden. Wasser und alle Arten von Tee sind erlaubt. Genauso Kaffee, solange er ohne Zucker und schwarz getrunken wird. Denn der Milchzucker stoppt die Fettverbrennung. Zu den Nicht-Fastenzeiten ist auch Alkohol erlaubt – natürlich mit massvollem Genuss.

Die Autorin dieses Artikels, Danica Gröhlich, ist Redaktorin bei «gesundheitheute», der Gesundheitssendung am Samstagabend auf SRF1.

 

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