«Antikörper lassen die Nerven wieder wachsen»
Interview Jeanne Fürst und Fabienne Eichelberger, 28. August 2025
(Symbolbild: iStock)
Eine Querschnittlähmung stellt das Leben auf den Kopf. Neurologe Patrick Freund setzt auf eine neue Therapie, die Betroffenen Hoffnung auf mehr Autonomie gibt.
Patrick Freund, eine Querschnittlähmung kann eine Paraplegie oder Tetraplegie zur Folge haben. Was ist der Unterschied?
Entscheidend ist die Höhe der Rückenmarkverletzung. Bei einer Tetraplegie ist das Rückenmark im Bereich der Halswirbelsäule geschädigt. Dadurch sind Arme und Beine gelähmt. Liegt die Verletzung im Brust- oder Lendenbereich, spricht man von einer Paraplegie, bei der die Beine und teilweise der Rumpf gelähmt sind.

Patrick Freund ist Chefarzt und Leiter des Zentrums für Paraplegie an der Uniklinik Balgrist Zürich.
Welche Ziele werden bei der Rehabilitation von Menschen mit Querschnittlähmung verfolgt?
Wir fokussieren uns auf die verbliebenen Funktionen und versuchen während der vier- bis neunmonatigen Reha mit einem interdisziplinären Team, die grösstmögliche Unabhängigkeit zu erreichen. Dazu zählt etwa die berufliche Wiedereingliederung, die in der Schweiz bei bis zu 70 Prozent der Fälle gelingt. Besonders wichtig ist den Betroffenen, die Armfunktion zu stärken sowie Blasen-, Darm und Sexualfunktionen zurückzugewinnen. Was möglich ist, hängt natürlich vom Ausmass der Lähmung ab.
Zurzeit wird an einer Antikörpertherapie geforscht. Wie funktioniert sie?
Über sechs Wochen erhalten Patientinnen und Patienten wöchentlich den Antikörper Anti-Nogo-A ins Rückenmark verabreicht. Er blockiert Botenstoffe, die das Nachwachsen von Nervenfasern verhindern. Die Nerven können dadurch neu auswachsen, die verletzte Stelle umgehen und Verbindungen zu intakten Bereichen unterhalb der Läsion wiederherstellen.
Für wen kommt die Antikörpertherapie in Frage?
Für Menschen mit einer akuten Verletzung auf der Höhe der Halswirbelsäule, bei denen das Rückenmark nicht vollständig zerstört wurde. Es muss noch Gewebe intakt sein, da die Nerven nicht durch Narbengewebe wachsen können. Das ist bei 70 Prozent der Menschen mit einer Querschnittlähmung der Fall. Aktuell ist das Medikament aber nur im Rahmen einer noch laufenden Studie verfügbar.
Gibt es bereits erste Ergebnisse?
Es zeigte sich, dass Patientinnen und Patienten dank der Antikörpertherapie ihre Muskelkraft so weit verbessern konnten, dass sie eine 30 Prozent höhere Selbständigkeit haben als unbehandelte Betroffene. Beispielsweise lernten sie, sich wieder allein die Zähne zu putzen. Es ist kein Wundermedikament, macht aber Hoffnung.



