Interview Jeanne Fürst und Fabienne Eichelberger, 5. Dezember 2024
Jesuit und Zen-Meister Niklaus Brantschen schöpft aus der christlichen und aus der östlichen Spiritualität Energie und gibt seine Erfahrungen in Seminaren gerne weiter.
Niklaus Brantschen, Sie haben mit 22 beschlossen, Jesuit zu werden. Wie kamen Sie auf die Idee, der katholischen Ordensgemeinschaft beizutreten?
Ich bin im Kanton Wallis aufgewachsen. In meiner Jugend war der Katholizismus dort noch sehr präsent. Fast alles drehte sich um die Kirche, und in meiner Verwandtschaft gab es mehrere Priester. Zudem verlor ich mit 18 meinen Bruder durch einen Unfall. Dieser Verlust hat mich geprägt und liess mich nach dem Sinn des Lebens suchen. Den Jesuiten trat ich schliesslich bei, weil sie offen sind und sich nicht in ein Kloster zurückziehen, sondern mitten in der Welt leben.
Sie haben viel Zeit in Japan verbracht, wo Sie Zen-Meister wurden.
Genau, ich habe rasch gespürt, dass Zen eine enorme Wirkung auf meine innere Haltung hat. Durch das Meditieren und die Stille erlange ich Gelassenheit, bin präsent und mit allem verbunden. Nehme ich mir die Zeit nicht, um in mich zu gehen, verliere ich mich. Das ruhige Sitzen am Morgen hilft mir, alles, was der Tag mit sich bringt, dankbar anzunehmen und zu gestalten.
Die Zen-Lehre stammt aus dem Buddhismus. Steht das nicht im Widerspruch zum christlichen Glauben?
Aus meiner Sicht nicht. Ich empfinde es als Bereicherung, Erfahrungen aus der christlichen und der buddhistischen Spiritualität zu verbinden. Ost und West ergänzen sich.
Wollten Sie diese Idee in dem von Ihnen gegründeten Lassalle-Haus in Bad Schönbrunn umsetzen?
Ja, das Haus ist ein Zentrum für interreligiösen Dialog und für Begegnungen zwischen diversen Menschen. Sie können sowohl auf dem Weg von Zen zu sich finden als auch christliche Angebote nutzen.
Wie hat sich Ihr Gottesbild über die Jahre verändert?
Es hat sich geöffnet. Als braver Walliser Knabe stellte ich mir Gott menschenähnlich und vor allem strafend vor. Heute betrachte ich Gott eher als eine nicht fassbare Wirklichkeit, die viel grösser ist, als wir uns vorstellen können.
Worin können Menschen Halt finden, die nicht gläubig sind?
In der Gemeinschaft und der Natur. Ich empfehle zudem, sich jeden Abend zu überlegen, wofür man dankbar ist. Findet man nichts, sollte man den nächsten Tag so leben, dass man am Abend dankbar sein kann. Die Dankbarkeit bringt automatisch Freude, Mut und Zuversicht mit sich. Dankbarkeit ist allen Menschen möglich – ob sie nun glauben oder nicht.