Interview Jeanne Fürst und Fabienne Eichelberger, 30. Mai 2024
Jeder vierte Mensch leidet einmal im Leben unter einer Depression. Es ist wichtig, dass sich Betroffene früh Hilfe holen, sagt der Psychiater und Psychotherapeut Hanspeter Flury.
Hanspeter Flury, wie zeigt sich eine beginnende Depression?
Betroffene empfinden kaum mehr Freude, leiden unter mangelnder Energie, ihre Gedanken kreisen um Selbstvorwürfe, Schuldgefühle und Hoffnungslosigkeit, und ihre Konzentration nimmt ab. Weitere Warnsignale können Nervosität, Schlafstörungen oder ein erhöhter Alkoholkonsum sein, um gegen die innere Unruhe anzukämpfen. Bei derartigen Symptomen sollte man genau hinschauen und mit dem Hausarzt sprechen.
Ist es wichtig, so früh wie möglich zu reagieren?
Ja, das gilt für alle psychischen Erkrankungen. Der Weg der Genesung ist umso aufwendiger, je stärker eine Krankheit ausgeprägt ist. Selten können leichte Depressionen zwar nach einer Weile von selbst verschwinden. In der Regel verstreicht jedoch zu viel Zeit, bis eine psychische Erkrankung erkannt wird. Scham und Rückzugstendenzen erschweren es Betroffenen oft, Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Wie kann eine Psychotherapie helfen?
Zuerst geht es darum, das Krankheitsbild zu erkennen und zu verstehen. Betroffene erfahren, dass es wirksame Behandlungen gibt und Aussicht auf Heilung besteht. Sie lernen, ihre Symptome als Ausdruck der Krankheit zu erkennen, ihnen zielführend zu begegnen, und werden dabei unterstützt, ihr Leben nicht allein auf die Depression auszurichten. Ist jemand aus dem Gröbsten raus, schaut man genauer hin: Gibt es Belastungen oder Traumata von früher, die man angehen sollte?
Wie wichtig sind Medikamente?
Bei mittelschweren bis schweren Depressionen helfen Medikamente, insbesondere Antidepressiva, Symptome abzubauen. Jedoch müssen sie immer mit Psychotherapie kombiniert werden. Es reicht nicht, nur Medikamente abzugeben.
Was hilft Betroffenen, abgesehen von einer Therapie und Medikamenten?
Bewegung an der frischen Luft wirkt wie ein leichtes Antidepressivum. Man sollte sich nicht überfordern, aber etwas mehr anstrengen, als man das normalerweise tun würde. Ausserdem sind soziale Kontakte wichtig.
Wie können Angehörige Betroffenen helfen?
Indem sie Verhaltensveränderungen ansprechen, ihre Sorgen formulieren und helfen, eine Fachperson aufzusuchen. Sie sollten nicht ängstlich oder ausgrenzend reagieren, sondern versuchen, für Betroffene unterstützend zu sein. Gleichzeitig muss ihnen bewusst sein, dass sie den Betroffenen ihre Probleme nicht abnehmen können.