«Medikamente entspannen die Blutgefässe»

Interview Jeanne Fürst und Fabienne Eichelberger, 26. Januar 2023

(Symbolbild: iStock)

Ein Druck auf der Brust kann auf verengte Blutbahnen zum Herz hindeuten. Eine solche mikrovaskuläre Dysfunktion werde oft erst spät erkannt, sagt die Kardiologin Julia Stehli.

Julia Stehli, was ist eine mikrovaskuläre Dysfunktion?
Herzkranzgefässe versorgen das Herz mit Sauerstoff. Von diesen Gefässen gibt es grosse und kleine, beide können sich verkrampfen und verengen. Geschieht dies bei den kleinsten Blutgefässen, liegt eine mikrovaskuläre Dysfunktion vor. Typische Symptome sind: Druck auf der Brust, ein stechender Schmerz oder Mühe beim Atmen.

Früher nannte man dies Syndrom X. Warum heute nicht mehr?
Das X steht für das weibliche X-Chromosom. Früher erkannte man eine mikrovaskuläre Dysfunktion oft nicht und warf erkrankten Frauen vor, sie bildeten sich die Beschwerden ein. Das wird weder der Erkrankung noch den Frauen gerecht.

Betrifft die Krankheit denn vor allem Frauen?
Ja, 60 bis 70 Prozent der Betroffenen sind Frauen.

Julia Stehli ist Oberärztin an der Klinik für Kardiologie des Universitätsspitals Zürich.

Ist erforscht, weshalb sie gefährdeter sind?
Nicht abschliessend. Zu den Risikofaktoren zählen dieselben wie bei anderen Herzkrankheiten: etwa Diabetes, hoher Blutdruck und Rauchen. Weiter könnte die Erkrankung hormonell beeinflusst sein. Die meisten betroffenen Frauen haben die Menopause hinter sich – und häufig auch einen langen Leidensweg.

Warum ist das so?
In der klinischen Praxis sehen wir häufig, dass die Diagnose erst Jahre nach Auftreten der ersten Symptome gestellt wird. Dies, weil das Testen der kleinsten Blutgefässe zu wenig verbreitet ist. So kommt es dazu, dass den Patienten mitgeteilt wird, es sei alles in Ordnung, oder zahlreiche weitere Abklärungen durchgeführt werden. Viele Betroffene glauben dann tatsächlich, sie bildeten sich die Schmerzen ein.

Wie kann eine mikrovaskuläre Dysfunktion diagnostiziert werden?
Den Patienten wird ein Katheter in eine Arterie eingeführt, zum Herz geschoben, dann ein Kontrastmittel injiziert. Dadurch ist auf Röntgenbildern zu sehen, ob die grossen Herzkranzgefässe verengt sind. Ist das nicht der Fall, kommt ein Medikament zum Einsatz, auf das die kleinen Gefässe bei einer Erkrankung reagieren, indem sie sich sichtbar zusammenziehen.

Wie wird die Erkrankung behandelt?
Mit Medikamenten: Die einen sorgen dafür, dass sich die Herzkranzgefässe entspannen, die anderen dienen dazu, das Fortschreiten der Ablagerungen in den Gefässen aufzuhalten. Bei der Hälfte der Patienten verschwinden die Schmerzen bald komplett, bei der anderen Hälfte reduzieren sie sich deutlich.

 

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