«Viele Betroffene finden zu einem guten Leben»

Interview Jeanne Fürst und Danica Gröhlich, 8. September 2022

(Symbolbild: Pixabay)

Gewisse Tumoren bleiben lange unentdeckt. Warum das so ist und warum das keine schlechte Diagnose sein muss, sagt der Endokrinologe Emanuel Christ.

Herr Christ, was unterscheidet neuroendokrine Tumoren von anderen Tumorarten?
Dabei handelt es sich um gutartige oder um bösartige Tumoren, die unreguliert Hormone ausschütten. Weshalb sie entstehen, weiss man nicht. Nur wenige sind vererbbar. Deshalb gibt es für diese seltene Art der Tumoren keine Risikofaktoren wie etwa das Rauchen bei Lungenkrebs.

Wo entstehen solche Tumoren?
Sie können sich in allen hormonproduzierenden Organen wie der Schilddrüse oder im Magen-Darm-Trakt mit der Bauchspeicheldrüse bilden. Ebenso in der Lunge. Wir finden sie bei Frauen und Männern etwa gleich häufig. Mit nur 100 bis 200 neuen Fällen in der Schweiz pro Jahr zählen sie zu den seltenen Krankheiten. Sie treten meist im Alter von 50 bis 70 Jahren auf.

Merkt man diese Hormonausschüttung?
Nur ein Viertel aller neuroendokrinen Tumoren produziert Hormone, die zu Symptomen führen. Wird etwa Insulin ausgeschüttet, kommt es zur Unterzuckerung, bei anderen Hormonausschüttungen zu heftigem Durchfall oder einem Flush, einem roten, heissen Kopf. Da diese Tumoren sehr langsam wachsen und die Mehrheit keine Hormone produziert, werden sie meist spät entdeckt. Dann haben sie bereits metastasiert, also Ableger im Körper gebildet. Erst dann kommen viele mit Bauchschmerzen oder anderen unspezifischen Beschwerden zur Abklärung.

Emanuel Christ ist Leiter der interdisziplinären Endokrinologie am Universitätsspital Basel.

Wird deshalb die Diagnose oft zu spät gestellt?
Die Symptome sind häufig unspezifisch, zum Beispiel denkt man bei einer Unterzuckerung zuerst an Diabetes. Weitere Anzeichen wie Konzentrationsschwierigkeiten und Schwindel werden meist zuerst neurologisch oder psychiatrisch abgeklärt. Zur eindeutigen Diagnose eines solchen Insulinoms wird im Labor die Unterzuckerung und Überproduktion von Insulin dokumentiert, dann eine Bildgebung durchgeführt.

Wie wird behandelt?
Produziert der Tumor Insulin, ist er in neun von zehn Fällen gutartig. Wir entfernen ihn. Die Behandelten gelten nach der Entfernung als geheilt. Für bösartige Tumoren mit Metastasen gibt es – ausser der Chirurgie – die Möglichkeit der medikamentösen Therapie oder der lokalen Verödung. Zusätzlich kann die Nuklearmedizin eingesetzt werden, da nimmt Basel eine Pionierrolle ein. Dabei führt die Strahlung der Radioisotope an bestimmten Andockstellen zur Zerstörung des Tumors. Die Herausforderung ist, die richtige Therapie zum richtigen Zeitpunkt zu wählen. Im Unterschied zu anderen Krebsarten mit schlechterer Prognose können Menschen mit hormonproduzierenden Tumoren über Jahre gut damit leben.

 

 

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