«Über die eigenen Sorgen reden hilft»

Interview Jeanne Fürst und Danica Gröhlich, 12. Mai 2022

(Symbolbild: iStock)

Bei psychischen Erkrankungen gehen die Familie und Freunde häufig vergessen. Was sie belastet und wo sie Hilfe erhalten, sagt der Angehörigenberater Thomas Lampert.

Herr Lampert, wie reagiert das Umfeld bei psychisch erkrankten Menschen am besten?
Psychische Erkrankungen wie Depressionen entwickeln sich oft schleichend, mit besseren und schlechteren Phasen. Angehörige werden von Sorgen geleitet, die sie unbedingt äussern sollten. Zieht sich die Partnerin oder der Partner zurück, kommt es ver- mehrt zu Konflikten. Ich-Botschaften können entlasten: «Ich habe den Eindruck, dass es dir schlechter geht und wir oft streiten. Das macht mir Sorgen.» Angehörige können Hilfe anbieten: «Ich fände es gut, wenn du einen Termin beim Hausarzt vereinbarst. Kann ich dir helfen?»

Führt ausgeübter Druck zu einem Teufelskreis?
Ja. Auch Vorwürfe und Bagatellisierungen wie «Reiss dich zusammen! Es ist doch gar nicht so schlimm!» verstärken die Scham- und Schuldgefühle. Zwingen Sie Betroffene also nicht, jeden Tag aufzustehen. Besser wäre die Frage: «Hilft es dir, wenn du mich auf einen Spaziergang begleitest?» Es geht nicht darum, dass Betroffene nicht wollen – sie können es schlichtweg nicht.

Thomas Lampert ist Angehörigenberater der Psychiatrie-Dienste Süd in der Klinik St. Pirminsberg in Pfäfers SG.

Mit welchen Schwierig­keiten sind Angehörige noch konfrontiert?
Bei schweren Krankheitsverläufen gerät die Welt aus den Fugen, mit gravierenden Folgen für die ganze Familie. Auch Zukunftsängste und Hilflosigkeit kommen auf: Angehörige können der Erkrankung nichts direkt entgegensetzen. Konflikte in nahen Beziehungen können zudem die Genesung hemmen. Erfolgt eine stationäre Behandlung, bekommt die Familie nicht mit, welchen Therapieweg ihre Liebsten gegangen sind. Die Therapie sollte die Familie möglichst miteinbeziehen.

Was hilft den Angehörigen zudem?
Darüber reden hilft. Oft ziehen sich Angehörige zurück. Ein Austausch über die eigenen Sorgen fehlt. Deshalb ist es wichtig, Freundschaften und Hobbys weiter zu pflegen. Angehörige haben oft Bedenken, die Krankheit zu verstärken, wenn sie Grenzen setzen. Die Krankheit darf aber nicht alles bestimmen, sonst bekommt sie zu viel Raum.

Dann muss man sich selbst auch abgrenzen?
Unbedingt. Angehörige sollten möglichst ihr Leben weiterleben. Studien zeigen, dass Angehörige von Menschen mit psychischen Erkrankungen ein höheres Ausmass an Stress aufweisen. In der Folge kann es zu psychischen, aber auch körperlichen Reaktionen kommen, etwa zu Schlafproblemen.

Was wäre der erste Schritt für Angehörige?
Sich einzugestehen, dass man keine Schuld an der Erkrankung trägt und selbst auch Hilfe in Anspruch nehmen darf. So sind zum Beispiel auf angehoerige.ch 30 Standorte mit Beratungsstellen zu finden, die für Angehörige ein anonymes und kostenfreies Erstgespräch anbieten.

 

 

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