Interview Jeanne Fürst und Danica Gröhlich, 13. Mai 2021
Wir alle werden älter. Doch wie altert man gut? Pasqualina Perrig-Chiello, Professorin für Alterspsychologie, weiss, was uns dabei hilft.
Frau Perrig-Chiello, wie verändert sich die Psyche im Alter?
Der Mensch kann sich bis zum Lebensende entwickeln. Auch wenn wir im Kern immer die Gleichen bleiben, gibt es viel Spielraum für persönliches Wachstum. Auf emotionaler Ebene etwa in Form eines besseren Selbstmanagements: Wir wissen, was uns guttut und was nicht. Im Laufe des Lebens werden wir krisenerprobter und somit gelassener. So zeigen Umfragen, dass ältere Menschen die Corona-Zeit psychisch oft besser bewältigen. Auf kognitiver Ebene wird das Gedächtnis im Alter schlechter, dafür gewinnen wir an Lebensweisheit. Auf sozialer Ebene tut sich auch einiges: Der Kreis der Lieben wird kleiner, aber intensiver.
Was können wir mental für ein gutes Alter tun?
Hinderlich sind Aussagen wie: «In meinem Alter kann man das nicht mehr lernen!» Gerade in Krisenzeiten entwickeln die meisten Menschen eine Resilienz, eine psychische Widerstandsfähigkeit. Erst wenn wir an unsere Grenzen stossen, merken wir, was für Ressourcen wir haben. Wir sollten dies als Chance sehen, sich neu zu definieren. Menschen, die gut altern, haben eine hohe Selbstverantwortlichkeit. Sie nehmen ihr Schicksal selbst in die Hand, können aber auch Hilfe annehmen. Ein klares Zeichen von Stärke.
Sollten wir uns früh aufs Alter vorbereiten?
Ja, denn wir altern so, wie wir gelebt haben. Der Lebensstil bestimmt weitgehend, ob wir im Alter gesund sind. Die Gene spielen eine untergeordnete Rolle. Spätestens mit 40 bis 50 Jahren sollten wir auf Ausgewogenheit achten. Ebenso auf körperliche, kognitive und soziale Stimulationen – sich bewegen, weiterbilden, Freundschaften pflegen. All das kostet nichts und ist ein Leben lang möglich. Das Gute ist: Diese Punkte verstärken sich gegenseitig!
Ein Einschnitt ist meist die Pensionierung: Was dann?
Wer sich einseitig über den Beruf definiert, hat es schwerer. Frauen haben meist weniger Mühe, da sie sich früh über verschiedene Rollen definieren, etwa als Tochter oder Mutter. Lassen Sie sich Zeit, sich selber und einen neuen Rhythmus zu finden. Es hilft, strukturiert zu bleiben. Zentral ist eine sinnstiftende Aufgabe. Menschen, die gut altern, wissen, warum sie am Morgen aufstehen. Sei es für ein Hobby, für Freiwilligenarbeit oder zur Betreuung der Enkel.
Wie gehen Sie persönlich mit dem Älterwerden um?
Seit fast vier Jahren bin ich als Professorin im Ruhestand. Eine spannende Phase mit neuen Freiheiten: Ich kann, muss aber nicht. Ich bin neugierig und offen für Neues, zudem diszipliniert sowie gewissenhaft. Ausnahmen sind aber erlaubt. Dabei versuche ich, nicht alles zu hinterfragen. Und ich nehme nicht mehr alles so ernst. Humor gehört dazu.