Interview Jeanne Fürst und Danica Gröhlich, 14. Januar 2021
Ein ständiger Pfeifton im Ohr treibt Betroffene beinahe in den Wahnsinn. Was bei einem Tinnitus helfen kann, sagt der Hals-Nasen-Ohren-Arzt Georgios Somakos.
Herr Somakos, was ist ein Tinnitus?
Ein Tinnitus ist ein Phantomgeräusch, das ohne externe Schallquelle entsteht. Dieses Ohrensausen gilt nicht als Erkrankung, sondern als Symptom. Der Ton kommt vom Gehirn oder von den Hörnerven.
Wie hört sich das an?
Betroffene beschreiben ihren Tinnitus als Pfeifton oder wie ein Rauschen, oder sie hören den eigenen Puls. Die Frequenzen reichen von tiefem Brummen bis zu hohem Rauschen. Die Lautstärke reicht bis zu 50 Dezibel, was dem Surren eines Kühlschranks entspricht. Da keine Messung möglich ist, zählt die subjektive Belastung – die bis zu suizidalen Gedanken führen kann.
Wie viele Menschen sind in der Schweiz von einem Tinnitus betroffen?
40 Prozent der Bevölkerung haben in ihrem Leben vorübergehende oder chronische Ohrgeräusche.
Was löst einen Tinnitus aus?
Ausgelöst wird er meist durch ein Knalltrauma, einen Hörsturz mit plötzlichem Hörverlust, ein belastendes Lebensereignis wie einen Todesfall oder durch eine Altersschwerhörigkeit. Auch muskuläre Probleme der Halswirbelsäule oder der Kaumuskulatur durch Zähneknirschen können Ursachen bilden. Oder eine schlechte Belüftung der Tuben, also der etwa vier Zentimeter langen Röhren vom Ohr bis zum Nasenrachen.
Welche Rolle spielt Stress oder die psychische Belastung durch Covid-19?
Wegen der Pandemie kommen mehr Menschen zu uns in die Sprechstunde. Stress führte bereits in den letzten Jahren zu mehr Tinnitus-Fällen – auch bei Jungen. Tinnitus-Betroffene leiden häufiger und stärker unter Stress. Sie empfinden das Ohrgeräusch als bedrohlich, da es im Gehirn das limbische System für Emotionen aktiviert. Angst verstärkt den Tinnitus. Es kommt zu einem Teufelskreis.
Was raten Sie bei Geräuschen auf dem Ohr?
Plötzlich auftauchende Ohrgeräusche verschwinden in der Regel von alleine. Oft reicht eine Ruhepause für das Gehör. Wenn die Geräusche aber länger als 24 Stunden anhalten, sollten Sie einen Hals-Nasen-Ohren-Arzt aufsuchen – je früher, desto besser. Denn mit jedem Tag steigt das Risiko, dass der Tinnitus länger als zwölf Monate bleibt, also chronisch wird.
Was hilft bei Tinnitus?
Bei der Retraining-Therapie konzentrieren sich Betroffene auf die Umgebungsgeräusche. Das Gehirn gewöhnt sich daran und blendet den Tinnitus aus. Was auch hilft, sind Entspannungstechniken wie Yoga oder autogenes Training. Auch Medikamente können wirken. Ebenso ein pflanzliches Präparat aus Ginkgo-Extrakt, das die Durchblutung fördern und die Nerven beruhigen soll.