«Aufklären nimmt die Last»

 Interview Jeanne Fürst und Danica Gröhlich, 26. November 2020

Symbolbild (iStock)

Zu krankhaftem Übergewicht kommen häufig Scham- und Schuldgefühle. Der Arzt und Psychiater Andreas C. Schmid sagt, was die psychische Belastung mindert.

Herr Schmid, wie belastet Übergewicht die Psyche?
Eigentlich essen wir, um den Körper zu ernähren. Ich kann aber auch essen, um mich zu beruhigen, um mich zu trösten oder um mich zu belohnen. Essen hilft, meine Stimmung positiv zu beeinflussen. Umgekehrt wird die Psyche belastet, wenn ich mich als übergewichtig empfinde oder die Umgebung mir zu verstehen gibt, dass ich es bin. Nicht selten entsteht eine negative Spirale: Ich esse, um mich zu trösten, nehme dadurch aber an Gewicht zu und benötige noch mehr Trost.

Unter welchen Gefühlen können Übergewichtige zudem leiden?
Übergewichtige Menschen neigen dazu, sich zu entwerten, wenn sie beim Abnehmen scheiterten. Dieses Scheitern ist oft mit Schamgefühlen verbunden. Auch weil man nicht den Normvorstellungen entspricht. Kritische Blicke und Kommentare bewirken, dass Übergewichtige sich zurückziehen. Zusätzlich kreisen die Gedanken dauernd ums Essen: Was, wann, wie viel und warum kann ich wieder essen?

Liegt der Ausweg darin, einfach weniger zu essen?
Nein, denn es können auch genetische Faktoren oder eine Stoffwechselstörung zu Adipositas führen, also zu krankhaftem Übergewicht.

Andreas C. Schmid, Psychiater St. Claraspital Basel, Konsiliararzt Adipositas Zentrum, Clarunis – Universitäres Bauchzentrum Basel

kann die psychische Belastung senken?
Die Diagnose einer solchen Veranlagung sowie das Aufklären über schädliche Folgen von wiederholten Diäten, verbunden mit dem Jo-Jo-Effekt, mindert bei vielen übergewichtigen Menschen die psychische Belastung.

Warum führen Sie vor einer Magenverkleinerung wie dem Magenbypass eine psychologische Untersuchung durch?
Die Abklärung vor einer Operation soll sicherstellen, dass die Patientin oder der Patient gut über die Konsequenzen informiert ist. Etwa, wie sie oder er sich danach ernähren muss und dass er oder sie regelmässig medizinische Kontrollen benötigt. Wir informieren zudem über mögliche Auswirkungen auf das Befinden: Wie verändert sich mein Erleben des Körpers und der Psyche, wenn ich schlanker werde? Gerade Jüngere haben oft die Vorstellung, dass das Schlanksein alle Probleme in der Ausbildung, im Beruf oder in Beziehungen lösen wird.

Dann ist nach einem körperlichen Eingriff und einer Gewichtsabnahme nicht einfach alles gut?
Die Seele wird nicht mitoperiert. Es kann also sein, dass durch die Gewichtsabnahme alte psychische Probleme wieder ins Bewusstsein treten. Oder dass die Erwartungen zu hoch waren. Es ist auch möglich, dass jemand nach der erfolgreichen Gewichtsreduktion sensibler oder gar zu empfindlich wird. Das versuchen wir dann mit Gesprächen aufzufangen.

 

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