«Offenes Ansprechen macht anderen Mut»

 Interview Jeanne Fürst und Danica Gröhlich, 22. Oktober 2020

(pixabay)

Stress, Angst vor Jobverlust: Nur allzu rasch rutscht jemand in eine Depression. Psychiater Frank Zimmerhackl sagt, wie das Umfeld am besten darauf reagiert.

Herr Zimmerhackl, was sind die Warnsignale einer Depression?
Zwei einfache Fragen können helfen, um festzustellen, ob eine Depression vorliegt: Ziehe ich mich immer mehr zurück und gehe meinen Hobbys nicht mehr nach? Und: Leide ich bereits länger als zwei Wochen an Niedergeschlagenheit, Hoffnungslosigkeit und Schwermut?

Kann sich eine Depression auch körperlich manifestieren?
Tatsächlich klagen Menschen in der Regel bei der ersten Depression zuerst über Beschwerden wie Magen-Darm-Probleme, Herzklopfen, starkes Schwitzen oder schlechten Schlaf, selbst über Rückenschmerzen. Auch ein Burn-out – ein Risikozustand mit permanenter Erschöpfung – kann sich zu einer Depression entwickeln und Herzkrankheiten begünstigen. Denn der chronische Stress schwächt den Körper.

Wer rutscht am häufigsten in eine Depression?
Es gibt kein schützendes Geschlecht oder Alter für eine Depression. Frauen werden aber häufiger statistisch erfasst, da sie eine Krankheit weniger als Kränkung empfinden und sich lieber Hilfe suchen. Männer dagegen wollen keine Schwäche zeigen, haben deshalb häufiger schwerere Verläufe und nehmen sich eher das Leben.

Ein Spruch wie «Reiss dich zusammen!» schadet also?
Das kann nach hinten losgehen. Eine Depression ist keine Willenserkrankung. Da Depressive auch Schuldgefühle haben, würden diese nur noch mehr gefördert. Also besser darauf ansprechen: «Ich merke, dir geht es nicht so gut. Wie kann ich dir helfen?»

Frank Zimmerhackl, Chefarzt Psychosomatik und Psychiatrie, Klinik Gais AR

Sind Betroffene bereit, sich helfen zu lassen?
Das ist sehr individuell. Depressive können die Symptome oft über Monate nicht einordnen. Wenn dann der Begriff «Depression» fällt, ist die Hemmschwelle relativ hoch, sich Hilfe zu suchen. Dabei haben wir sehr gute Behandlungsmöglichkeiten wie Psychotherapien, Aktivierung durch Bewegung oder Achtsamkeitstraining. Niemals zwingen wir Patienten zur Einnahme von Antidepressiva.

Wie soll sich das Team am Arbeitsplatz verhalten?
Damit es nicht zu einer Stigmatisierung kommt, empfehle ich, sehr offen zu kommunizieren und mit dieser Person normal umzugehen. Durch das positive Beispiel könnten auch andere ermutigt werden, sich Hilfe zu suchen. Denn im Laufe des Lebens erkrankt jeder Dritte psychisch.

Ist die Rückfallgefahr gross?
Ja, leider. Deshalb sollten Betroffene trotz abgeschlossener Behandlung in einer Klinik ambulant weitermachen. Mit den Angehörigen könnten sie zudem eine Liste schreiben mit Frühwarnzeichen wie einem erneuten Rückzug oder Erschöpfung und an den Kühlschrank hängen.

 

 

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