«Gehen Sie alle zwei Jahre Ihre Medikamente durch»

Interview Jeanne Fürst und Danica Gröhlich, 3. September 2020

(pixabay)

Schmerzmittel, Blutdrucksenker: Je älter ein Mensch wird, desto mehr Medikamente schluckt er. Professor Thomas Rosemann warnt vor unerwünschten Wechselwirkungen.

Herr Rosemann, schlucken wir zu viele Tabletten?
Das hängt vom Lebensstil und von den genetischen Anlagen ab. Ich habe 80-Jährige erlebt, die ohne jedes Medikament auskommen, aber auch Jüngere, die bereits Medikamente brauchen. Viele nehmen mit zunehmendem Alter vier, fünf oder mehr Arzneimittel ein. Wir dürfen Medikamente per se nicht verteufeln: Sie ermöglichen das Leben oder Überleben mit chronischen Krankheiten.

Welche Pillen verschreiben Ärzte am häufigsten?
Ab 50 Jahren nimmt etwa die Hälfte der Patienten Blutdrucksenker ein. Dann folgen Mittel gegen zu viel Cholesterin und
Diabetes. Der Mensch tendiert schnell dazu, ein Medikament zu nehmen. So wird etwa oft nachgeholfen, wenn der Schlaf schlechter wird. Doch Benzodiazepine machen rasch abhängig. Kritisch wird es auch bei Schmerzmitteln gegen Arthrose, die sich auf die Niere auswirken.

Wie kommt es zu Wechselwirkungen?
Ein Grund dafür ist die Ausscheidung der Medikamente über die Niere und die Leber. In der Leber kommt es zum Konkurrenzkampf. Alle Reststoffe wollen über dieselbe «Türe» – hinaus. Wie ein Stau am Gotthard. Der Abbau wird langsamer. Die Wirkung hält länger an. Patienten merken das oft gar nicht unmittelbar.

Thomas Rosemann, Leiter des Instituts für Hausarztmedizin, Universität Zürich

Sind denn Pflanzenpräparate harmlos?
Pflanzliche Präparate werden oft unterschätzt. Johanniskraut gegen Depressionen zum Beispiel erhöht beim Abbau in der
Leber den Spiegel anderer Arzneien. Ich wundere mich oft, was Patienten nicht als Medikament wahrnehmen. Bringen Sie alles, was Sie schlucken, mit zum Arzt – auch pflanzliche und rezeptfreie Mittel wie Aspirin oder Ibuprofen sowie Vitamine! Ältere Blutverdünner reagieren beispielsweise stark auf Vitamin K im Kohl und Gemüse.

Womit nehme ich Tabletten am besten ein?
Mit Wasser. Grapefruitsaft zum Beispiel verstärkt meistens die Wirkung. Das Kalzium in der Milch hingegen kann einen Effekt
abschwächen, weil es die Aufnahme behindert. Schauen Sie auf den Beipackzettel. Schilddrüsenhormone etwa werden morgens auf nüchternen Magen eingenommen, fettlösliche Substanzen zum Essen.

Wie habe ich Kontrolle über meine Medikamente?
Fragen Sie Ihren Hausarzt. Gehen Sie mit ihm alle zwei Jahre Ihre Medikamente durch. Warum nehme ich das? Braucht es das? Gibt es Alternativen? Ein Klassiker ist der vorübergehend verschriebene Magenschutz etwa bei Schmerzmitteln. Das Schmerzmittel wird gestoppt, der Magenschutz bleibt. Setzen Sie Tabletten aber nie selbständig ab.

 

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