«Stress kann den Tinnitus verstärken»

Interview Jeanne Fürst und Fabienne Eichelberger, 28. März 2024

(Symbolbild: iStock)

15 Prozent der Menschen haben einen Ton im Ohr. Gefährlich sind die Störgeräusche nicht, aber es ist wichtig, einen guten Umgang damit zu finden, sagt Experte Tobias Kleinjung.

Tobias Kleinjung, zeigt sich ein Tinnitus immer mit einem Pfeifen im Ohr?
Dieser Glaube ist verbreitet. Um einen Tinnitus handelt es sich aber bei allen Geräuschen, die nicht durch eine reale Schallquelle entstehen. Neben dem Pfeifen können Betroffene ein Brummen, Rauschen oder ein Scheppern hören. Oft variieren die Geräusche.

Wie häufig ist Tinnitus?
Rund 15 Prozent aller Menschen sind von einem Tinnitus betroffen, der länger als drei Monate anhält. Allerdings sucht nur 1 Prozent eine Fachperson auf. Die übrigen Betroffenen arrangieren sich und leben damit.

Tobias Kleinjung ist Hals-Nasen-Ohren- Arzt und Leiter der Tinnitus-Spezialsprechstunde am Universitätsspital Zürich.

Wodurch wird ein Tinnitus ausgelöst?
Die Hauptursache ist ein Hörverlust, der etwa im Zusammenhang mit dem Alterungsprozess, einem Hörsturz oder einem Lärmtrauma auftritt. Kommen dadurch zu wenige Informationen vom Ohr im Gehirn an, gleicht das Hörzentrum den Hörverlust aus, indem es Signale sendet. Beim Tinnitus handelt es sich also um vom Gehirn ausgelöste Phantomgeräusche.

Wie kann man einem Tinnitus vorbeugen?
Indem man sich vor lauten Geräuschen schützt und sein Stresslevel tief hält.

Weshalb?
Bei vielen Betroffenen beginnt der Tinnitus in einer belastenden Lebensphase. Dies erklärt auch, warum nicht alle Menschen mit Hörverlust einen Tinnitus haben. Das Gehirn beginnt offensichtlich erst in Kombination mit Stress und Emotionen zu reagieren.

Wie wird ein Tinnitus behandelt?
Die Ohrenärztin oder der Ohrenarzt klärt ab, ob eine behandelbare Schwerhörigkeit vorliegt. Dann kommen Hörgeräte zum Einsatz. Eine Pille, welche die Betroffenen heilt, gibt es nicht. Aktuell wird untersucht, ob und wie die den Tinnitus bedingende, veränderte Gehirnaktivität rückgängig gemacht werden kann. Ist jemand durch den Tinnitus im Alltag eingeschränkt und leidet zum Beispiel unter Depressionen, Schlaf-, Konzentrations- oder Angststörungen, helfen Psychiaterinnen und Psychotherapeuten.

Inwiefern?
Sie vermitteln anhand der kognitiven Verhaltenstherapie Strategien für den Umgang mit dem Tinnitus. Ziel ist es, diesen zu akzeptieren und Stress abzubauen. Leiden die Patientinnen und Patienten unter schweren Angststörungen oder Depressionen, können Medikamente eingesetzt werden. Durch die Stabilisierung dieser Symptome sollte auch der Tinnitus nachlassen. Bei den meisten Betroffenen ist die Lebensqualität zwei bis drei Jahre nach Beginn einer Behandlung kaum mehr beeinträchtigt.

 

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