«Mit Stoffwindeln merken Babys, wenn sie müssen»

Interview Jeanne Fürst und Danica Gröhlich, 28. Oktober 2021

(Symbolbild: iStock)

Kinder nässen sich immer länger ein. Weshalb das so ist, wie viele Windeln sie brauchen und wie Eltern ihr Baby trocken bekommen, sagt die Entwicklungspädagogin Rita Messmer.

Frau Messmer, warum ist die Reinlichkeit von Kindern oft ein Tabu?
Tatsächlich schämen sich viele Eltern, oft aus Unwissenheit. Denn wir Menschen wissen über die Entwicklung und die biologischen Anlagen von Tieren mehr als über uns selbst. Das führt zu falschen Lehrmeinungen. Wie jene, dass ein Baby seine Ausscheidungsorgane erst ab 18 Monaten kontrollieren könne. Da die Windelgrössen stetig steigen und Kinder immer häufiger Schwierigkeiten mit der Ausscheidung haben, wurde die Zeitspanne dieses Entwicklungsschrittes einfach auf 48 Monate erhöht.

Wie lange brauchen Kinder denn, bis sie trocken sind?
Das variiert stark. Das Trockenwerden stellt sich für viele Kinder aber nicht mehr von allein ein. Durch unser Verhalten wird die biologische Entwicklung gestört. Eine Untersuchung aus China an 19 500 Kindern zeigt die Auswirkungen, wenn ein Kind bis zum Alter von sechs Monaten nicht «abgehalten» wird. «Abhalten» bedeutet, das Baby in einer natürlichen Position ohne Windel ausscheiden zu lassen. Wird das nicht ermöglicht, steigt mit jedem zusätzlichen Monat die Wahrscheinlichkeit, dass es zum Bettnässer wird. Auch wir in der Schweiz haben bereits ein riesiges Angebot an Windeln für 15-Jährige. Eine Interpellation zeigt dem Bundesrat nun diese Problematik auf.

Rita Messmer ist Grossmutter, Entwicklungspädagogin und Expertin für eine frühe Reinlichkeit.

Welche Folgen haben Wegwerfwindeln?
Da diese alles aufsaugen, geht kein Nässesignal ans Gehirn. Das Kind kann überall und jederzeit. Entsprechende Vernetzungen, um unsere Ausscheidungsorgane zu kontrollieren, werden nicht gemacht. Heute benötigt ein Kleinkind, bis es trocken ist, im Schnitt bis zu 6000 Windeln, rund eine Tonne Abfall.

Was raten Sie?
Eine Alternative sind Stoffwindeln. Wenn Eltern den biologisch angelegten Entwicklungsschritt in den ersten drei Monaten nützen, merken sie, dass jedes Baby reflexartig ausscheidet. Bald schon landet das grosse Geschäft im Töpfchen oder da, wo das Baby abgehalten wird. Eltern stellen schon bald fest, dass damit auch die «Drei- Monats-Koliken» aufhören.

Zeigen Babys, dass sie müssen?
Ja, sie werden unruhig und erwachen. Denn im Schlaf sorgt das Hormon ADH dafür, dass weniger Urin in die Blase gelangt. Also nach dem Aufwachen erst abhalten, dann stillen. So auch tagsüber. Der «gastrokolische Reflex» bewirkt, dass Babys beim Stillen ausscheiden: Sie setzen beim Stillen ab und suchen Augenkontakt. Wenn Babys getragen werden, fangen sie an, sich abzustossen. Entsprechende Rezeptoren am Bauch signalisieren: Jetzt nicht! Deshalb pinkeln sie los, sobald die Windel geöffnet ist.

 

Weitere Informationen zu Hello Nappy, dem Abhalten bei Babys sowie 
Stoffwindeln und Fachbücher erhalten Sie auf der Homepage von Rita Messmer, 
Entwicklungspädagogin und Urheberin der frühen Reinlichkeit.

 

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