Das Gehirn gegen Demenz wappnen

Von Danica Gröhlich, 21. April 2021

Noch fehlt ein Medikament, das Demenz heilt. Was wir dennoch tun können, erklärt Dr. Stefanie Becker, Direktorin von Alzheimer Schweiz.

Frau Dr. Becker, die meisten haben Angst, an Demenz zu erkranken. Was sind die ersten Anzeichen?
Aktuell leben rund 145’000 Menschen mit Demenz in der Schweiz. Jährlich erkranken über 30’000 Personen an Alzheimer oder einer anderen Demenzform. Etwa 5 Prozent aller Menschen mit Demenz erkranken vor dem 65. Lebensjahr. Eine Demenz entwickelt sich meistens langsam. Am Anfang fallen die Betroffenen auf, weil sie immer öfter unaufmerksam sind. Sie stellen häufig die gleichen Fragen oder finden im Gespräch nicht sofort die richtigen Worte. Sie verlegen Gegenstände oder können zu bekannten Gesichtern nicht die Namen zuordnen.

Steigt die Zahl und wer ist besonders betroffen?
Das Alter ist nach wie vor der grösste Risikofaktor für eine Demenzerkrankung. Mit dem Lebensalter steigt somit die Wahrscheinlichkeit, an Alzheimer oder an einer anderen Demenzform zu erkranken. Aufgrund der steigenden Lebenserwartung werden bis 2050 voraussichtlich 315’400 Menschen an Demenz erkranken. Heute sind 67 Prozent davon Frauen, weil sie im Durchschnitt älter werden.

Was sagt die Forschung über die Ursache von Demenz?
Aktuell sind mehr als 100 verschiedene Demenzerkrankungen bekannt. Spricht man über die Ursachen einer Demenz, muss zwischen den unterschiedlichen Formen einer Demenzerkrankung unterschieden werden. Alzheimer ist die häufigste Demenzform. Charakteristisch für sie sind Eiweissablagerungen im Gehirn. Dadurch sterben Nervenzellen ab und somit ist die Informationsübertragung im Gehirn gestört. Was zu diesen Eiweissablagerungen führt, ist bis heute jedoch nicht geklärt. Möglicherweise sind die Ursachen von Alzheimer multifaktoriell und wesentlich komplexer, weshalb derzeit unterschiedliche Forschungsansätze verfolgt werden. Die vaskuläre Demenz ist die zweithäufigste Demenzform. Bei einer vaskulären Demenz liegt die Ursache in einer Beeinträchtigung der Durchblutung des Gehirns. Wird diese Versorgung verringert oder blockiert, nehmen Gehirnzellen Schaden oder sterben ab. Die Durchblutungsstörungen selbst sind die Folge von geschädigten Blutgefässen, zum Beispiel durch Gefässverengungen, Entzündungen oder Blutungen.

Dr. Stefanie Becker, Psychologin und Gerontologin, Direktorin Alzheimer Schweiz (zVg.)

ist eine Demenz feststellbar?
Neben dem Gedächtnis können die Lernfähigkeit, die Aufmerksamkeit, die Sprache, das Planen, abstraktes Denken oder das Problemlösen betroffen sein. Zudem auch die Wahrnehmung, das Erkennen, die Orientierung oder soziale Interaktionen. Meist ist die Hausärztin oder der Hausarzt die erste Anlaufstelle, wenn jemand eine Demenz vermutet. In einem ausführlichen Gespräch – idealerweise auch mit den Angehörigen – werden die Veränderungen und das weitere Vorgehen besprochen. Oft kommen Kurztests zum Einsatz, um kognitive Einschränkungen feststellen zu können. Ist eine Demenz erst leicht ausgeprägt, lässt sich die Beeinträchtigung eventuell nicht durch einen Kurztest erkennen. Um Auffälligkeiten umfassend zu beurteilen, empfiehlt sich eine Abklärung in einer spezialisierten Memory Klinik. Eine solche interdisziplinäre Abklärung kann andere Erkrankungen ausschliessen und zeigt auch die weiteren therapeutischen Möglichkeiten auf. Eine frühe Demenzabklärung ist sinnvoll. Sie schafft Klarheit und ermöglicht es, rechtzeitig die nächsten Schritte zu planen, das weitere Leben zu gestalten und wichtige Entscheide zu treffen.

Können wir eine Demenz verlangsamen oder gar vorbeugen?
Verschiedene wissenschaftliche Erkenntnisse zeigen, wie man auf die eigene Gesundheit achten kann und, wie wir unser Gehirn fit und gesund halten können: Wer sich gesund ernährt, körperlich und geistig aktiv bleibt sowie soziale Kontakt pflegt, regt sein Gehirn an. Ein gefordertes Gehirn ist auch besser gewappnet und kann den Abbau von Nervenzellen länger kompensieren. Etwa Sprachen oder Musikinstrumente lernen oder einfach auch einmal ein Museumssowie Konzertbesuch, falls wieder möglich, oder auch regelmässige Bewegung. Eine Demenz lässt sich nicht zu 100 Prozent verhindern, aber das Risiko zu erkranken, kann man verringern. Gewissen Demenzrisiken ist man ausgesetzt, ohne dass man sich davor schützen kann. Mit zunehmendem Alter steigt, wie bereits erwähnt, das Risiko, daran zu erkranken. Ebenso können erbliche Faktoren für eine Demenzerkrankung mitverantwortlich sein.

«Eine frühe Demenzabklärung schafft Klarheit»

Wie gehen Angehörige am besten mit Demenzkranken um?
Nach der Diagnose haben viele Angehörige das Bedürfnis nach Beratung und Information. Später, wenn sie zunehmend auch betreuende und pflegerische Aufgaben übernehmen, stehen Unterstützungsund Entlastungsangebote im Vordergrund. Am kostenlosen nationalen AlzheimerTelefon 058 058 80 00 beraten wir Angehörige, aber auch Menschen mit Demenz, Fachpersonen sowie weitere individuell und so lange und so häufig wie notwendig. Gemeinsam mit den Angehörigen besprechen wir die aktuellen Schwierigkeiten und mögliche Lösungen, wenn beispielsweise jemand immer wieder wegläuft oder sich zunehmend aggressiv verhält. Seit mehr als 30 Jahren begleiten wir von Alzheimer Schweiz und unsere kantonalen Sektionen Demenzbetroffene sowie Angehörige mit vielen nützlichen Informationen und Dienstleistungen wie Gesprächsgruppen, Freizeitaktivitäten oder Ferien angeboten. Denn eine Demenz verändert vieles – sowohl für die demenzerkrankte Person als auch für ihre Angehörigen.

Ist ein Arzneimittel oder ein Impfstoff in Sicht?
Noch gibt es kein Medikament, das Demenz heilt. Aber aktuell wird die Zulassung eines AlzheimerMedikaments mit dem Wirkstoff Aducanumab durch die amerikanischen Zulassungsbehörden (FDA) geprüft. Der Entscheid wird im Juni erwartet. Aducanumab wirkt auf Grundlage einer passiven Immunisierung. Ein Antikörper, der sich gegen das für die AlzheimerKrankheit charakteristische Eiweiss richtet. Ob und wann allenfalls auch Demenzerkrankte in der Schweiz von diesem Wirkstoff profitieren könnten, ist unter anderem von der Zulassungsbehörde Swissmedic abhängig. Es tut sich also einiges, was Demenzkranken und ihren Angehörigen Hoffnung gibt.


Nationale Demenzkonferenz

Sind eine gesunde Ernährung, ausreichend Schlaf, regelmässige Bewegung und genügend soziale sowie geistige Aktivitäten vorbeugend? Die Nationale Demenzkonferenz, welche Alzheimer Schweiz und Public Health Schweiz gemeinsam durchführen, richtet den Fokus auf die präventiven Möglichkeiten und beleuchtet auch deren Grenzen. Die OnlineVeranstaltung findet am 29. April 2021 statt und wird simultan in Deutsch und Französisch übersetzt. Informationen zu den Referierenden, dem Programm und zur Anmeldung auf: demenz-konferenz.ch.


Danica Gröhlich ist Redaktorin bei «GESUNDHEITHEUTE», der Gesundheitssendung am Samstagabend auf SRF 1.
Empfehlen Sie diesen Beitrag weiter: