«Starkes Leiden lässt Hemmungen überwinden»

 Interview Jeanne Fürst und Danica Gröhlich, 4. Februar 2021

(Symbolbild: iStock)

Männer sprechen selten über ihre heftigen Schmerzen im Unterleib. Und wenn sie es tun, werden sie oft nicht ernst genommen, sagt der Urologe Daniel Engeler.

Herr Engeler, mit welchen Unterleibsschmerzen kommen Männer zu Ihnen?
Die meisten Männer beschreiben ihr Leiden als dumpfe Schmerzen, als brennenden oder als ständig spürbaren Schmerz. Oder dann verspüren die Patienten Schmerzen, die von der Menge der Blasenfüllung oder von einer sexuellen Aktivität herrühren.

Welche weiteren Beschwerden sind möglich?
Sehr häufig gesellen sich zu einem Problem im Unterleib funktionelle Probleme hinzu. Etwa anhaltender oder plötzlicher Harndrang, Erektionsstörungen oder das Vermeiden sexueller Aktivitäten. Psychische Folgen wie Beziehungsprobleme, sozialer Rückzug oder eine depressive Entwicklung können dann auftreten. Oftmals werden Unterleibsschmerzen als rein psychologisches Problem abgetan, weil nichts gefunden wurde.

Ist es für Männer schwierig, darüber zu sprechen?
Normalerweise schon. Ein hoher Leidensdruck stellt Hemmungen in den Hintergrund. Wenn ein Mann sich entschieden hat, zum Hausarzt oder zum Urologen zu gehen, hat er bereits die erste Hemmschwelle überwunden. Werden die Schmerzen früh angegangen, können sie teilweise oder ganz verschwinden.

Daniel Engeler arbeitet als stellvertretender Chefarzt in der St. Galler Klinik für Urologie.

Ist das Gespräch der wichtigste Teil des Untersuchs?
Ja, denn danach sind wir meist recht sicher, dass es sich um das Beckenschmerzsyndrom handeln könnte. Ergänzend folgt eine sanft durchgeführte Rektaluntersuchung, um die Empfindlichkeit der Prostata abzuschätzen. Zudem taste ich schmerzhafte Verhärtungen der Muskulatur im Becken ab. Auch Nerven können durch einen Unfall, eine Operation oder Bestrahlung geschädigt sein. Weiter machen wir im Spital bei Drangsymptomen eine Blasenspiegelung, um seltene Fälle von bösartigen Veränderungen auszuschliessen.

Was löst das Beckenschmerzsyndrom aus?
Leider bleibt die Ursache häufig unbekannt. Am Anfang steht oft ein Ereignis wie eine Infektion oder eine Verletzung, das Schmerzproblem verselbständigt sich dann aber. Es wird zu einem Problem der Nerven, die das Signal ans Hirn senden, wo der Schmerz entsteht. Patienten mit einem Beckenschmerzsyndrom empfinden bereits eine Berührung als schmerzhaft.

Werden die Männer schmerzfrei?
Grundsätzlich orientiert sich die Auswahl der Therapie an den Symptomen, die wir in sogenannte Phänotypen einteilen. So können verschiedene Medikamente, eine Physiotherapie oder eine Form der Elektrotherapie helfen. Zudem setzen wir gemeinsam das realistische Ziel, die Schmerzen um mehr als die Hälfte zu reduzieren. 80 Prozent schaffen das.

 

 

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