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Schweizer Familie

«Betroffene vermeiden soziale Kontakte»

«Betroffene vermeiden soziale Kontakte»

Interview Jeanne Fürst und Fabienne Eichelberger, 25. September 2025

(Symbolbild: iStock)

Persönlichkeitsstörungen sind weitverbreitet und belasten die Beziehungen zu Mitmenschen. Oft bleiben sie aber lange unerkannt, sagt der Psychologe Tobias Melcher.

Tobias Melcher, was versteht man unter einer Persönlichkeitsstörung?
Das sind tief verwurzelte Muster des Verhaltens, Erlebens und Fühlens, die von den Erwartungen der Umgebung abweichen. Dadurch kommt es oft zu Spannungen zwischen Menschen mit einer Persönlichkeitsstörung und ihrer Umwelt. Schätzungsweise leiden bis zu 15 Prozent der Erwachsenen an mindestens einer Persönlichkeitsstörung.

Tobias Melcher ist Leitender Psychologe an der psychiatrischen Uniklinik in Basel.

Welche sind besonders verbreitet?
Sehr häufig ist die ängstlich-vermeidende Persönlichkeitsstörung. Betroffene Menschen fühlen sich in Beziehungen unsicher und haben Mühe, sich an neue Situationen anzupassen. Ebenfalls häufig sind die dramatischemotional- launischen Persönlichkeitsstörungen, zu denen die Borderline-Störung zählt.

Ab wann spricht man nicht mehr von einem Charakterzug, sondern von einer Persönlichkeitsstörung?
Wenn die betroffene Person oder ihr Umfeld leidet. Kommt sie im Leben gut zurecht, muss keine Diagnose gestellt werden.

Wann und wie zeigen sich Persönlichkeitsstörungen?
Man geht davon aus, dass sie sich in der Kindheit entwickeln und in der Jugend oder im frühen Erwachsenenalter sichtbar werden – meist in herausfordernden Situationen und zwischenmenschlichen Konflikten. Häufig bleiben sie aber auch lange unerkannt. Das liegt daran, dass sie sich zuerst durch Symptome wie Depressionen oder Ängste zeigen können und erst später deutlich wird, dass eine Persönlichkeitsstörung zugrunde liegt.

Welche Auswirkungen haben Persönlichkeitsstörungen für die Betroffenen?
Viele Patientinnen und Patienten haben Angst vor Ablehnung, Kritik und Überforderung. Sie reduzieren soziale Kontakte, um belastende Situationen zu vermeiden. Dadurch können sie sich seelisch einigermassen stabil halten. Im Grunde sehnen sie sich aber nach Anerkennung und Nähe. Bekommen sie das nicht, kann das Depressionen begünstigen.

Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es?
Im Vordergrund steht die Psychotherapie. Dabei lernen die Betroffenen, ihre Emotionen zu regulieren, und die Ursachen der Persönlichkeitsstörung werden aufgearbeitet. Medikamente spielen eine untergeordnete Rolle. Sie können aber bei der Behandlung von Begleitsymptomen wie Depressionen, Ängsten oder psychotischen Zuständen unterstützend wirken.

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