Was Albträume über uns verraten

Von Danica Gröhlich, 3. November 2021

Träum weiter: Warum wir ein Leben lang in Traumwelten abtauchen. (iStock)

Fliegen, Fallen, fasernackt Fliehen: Unser nächtliches Kopfkino kann ganz schön aufregend sein. Doch weshalb träumen wir? Ein Schlaf-Forscher bringt Licht ins Dunkel.

Guten Morgen Herr Prof. Schredl, was haben Sie letzte Nacht geträumt?
Da müsste ich kurz nachschauen. Ich habe mir heute gleich drei Träume aufgeschrieben. Inzwischen besitze ich eine grosse Sammlung, da ich mir meine Träume bereits seit über 37 Jahren nach dem Aufwachen notiere. Das hilft mir beim Erinnern.

Weshalb kann ich mich denn nur noch kurz oder gar nicht mehr an einen Traum erinnern?
Das Vergessen von Träumen ist ganz sinnvoll. Wenn ich mich an Träume so gut wie an wache Erlebnisse erinnern würde, wüsste ich gar nicht mehr, was ich real erlebt habe. Zudem befindet sich das Gehirn beim Schlafen in einem anderen Modus. Deshalb geht dieses subjektive Erleben, wie ich das Träumen nenne, leicht verloren. Im Wachbewusstsein haben wir dagegen besseren Zugriff auf diejenigen Dinge, die wir wirklich erlebt haben. Die Traumerinnerung ist allerdings trainierbar. Frauen erinnern sich übrigens häufiger an ihre Träume als Männer. Diese Unterschiede werden ab dem Jugendalter deutlich. Eine Erklärung dafür ist, dass Mädchen mit ihren Freundinnen öfters über ihre Träume sprechen, wodurch die Erinnerung verbessert wird. Auch bei meinen Studierenden sehe ich Ähnliches: Beschäftigen sie sich für ihre Bachelor- Arbeit intensiver mit der Traumforschung, steigt auch die Erinnerung ihrer Träume.

Warum träumen wir überhaupt?
Diese Frage können wir nicht abschliessend beantworten. Denn jeder Mensch träumt. Deshalb kann man das nicht vergleichen mit Personen, die nicht träumen, um so einen Benefit durchs Träumen nachzuweisen. Natürlich gibt es viele Theorien, angefangen von Sigmund Freud bis heute. Aktuell wird diskutiert, ob wir unsere sozialen Fähigkeiten und den Umgang mit Ängsten im Traum trainieren. Auch die Theorie, dass wir im Traum etwas verarbeiten, klingt zwar gut, aber wir wissen nicht, was passieren würde, wenn wir nicht träumen. Könnten wir theoretisch genauso gut funktionieren? Ja, das Gehirn als biologische Maschine hat viele Aufgaben während des Schlafes wie das verbesserte Abspeichern von Dingen, die tagsüber aufgenommen wurden.

Prof. Dr. Michael Schredl, Wissenschaftlicher Leiter Schlaflabor, Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI), Mannheim DE (zVg.)

Was passiert da genau im Gehirn?
Ein schlafendes Gehirn hat die wichtige Aufgabe, «Gedächtnisputz» von dem zu machen, was wir tagsüber erlebt haben. Also die Guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen. Dieser Vorgang macht auch Sinn, damit man nachts – wenn sonst nichts zu tun ist – schön aufräumen kann. Dass wir nur in der sogenannten REM-Phase, die für «Rapid Eye Movement» steht, träumen, ist übrigens längst überholt. Man träumt immer und in jeder Schlafphase. Was auch gesund ist, denn das Gehirn wird ja nie abgeschaltet, es arbeitet immer. Subjektives Erleben ist ständig vorhanden, solange das Gehirn funktioniert, auch in Narkose oder selbst im Koma. Wir träumen allerdings wilder, wenn das Gehirn, etwa im REM-Schlaf, aktiver ist.

Was wollen uns Träume sagen, in denen wir fliegen können, verzweifelt eine Toilette suchen oder gar nackt sind?
Ich würde die Fragestellung zunächst umkehren: Wichtig ist nicht, was Träume uns sagen wollen, sondern wovon Menschen träumen. Die klare Antwort: Wir träumen von den Dingen, die uns auch im Wachzustand emotional beschäftigen. Doch wir können auch von Dingen träumen, die wir noch nicht erlebt haben. Es gibt also auch kreative Träume. Beispielsweise solche, in denen wir ohne Hilfsmittel fliegen. Bei vielen Träumen hilft es, sich das Grundmuster, die Gefühle im Traum anzuschauen. Ein Flugtraum sagt, ich kann etwas, was andere Menschen nicht können. Ich habe Spass am Leben. Fliegen gilt ja als ewiger Menschheitstraum. Darauf folgt aber die Angst, wie lange diese Hochphase noch anhält. In 30 Prozent der Flugträume gibt es eine Absturzangst. Ein weiteres Motiv ist, wenn Sie im Traum verzweifelt eine Toilette suchen. In diesen typischen Toilettenträumen finden Sie aber keine oder dann ist sie verschmutzt. Hier nutzt der Traum ein Bild, um zu zeigen, dass ein aktuelles Bedürfnis da ist und sich nicht befriedigen lässt. Es geht also beispielsweise darum, wieder mehr Freizeit zu haben, wandern zu gehen oder mehr Zeit mit der Partnerin, dem Partner zu verbringen. Was kommt also zu kurz in meinem Leben? Mit einer vollen Blase, die sich im Traum meldet, hat das übrigens nichts zu tun. Sonst hätten wir ja ständig Toilettenträume. Sind wir nackt in der Öffentlichkeit, steht die Angst im Vordergrund, was andere über mich denken und mich negativ bewerten. Prüfungsträume dagegen zeigen die Angst, was andere über Ihre Leistung denken könnten.

Weshalb haben wir Albträume?
Albträume entstehen aus einer Mischung zwischen Veranlagung und Stress. Laut Studien nahmen Albträume durch den Stress der Corona- Pandemie bei circa 15 Prozent der Bevölkerung zu. Die Angst, dass jemand aus der Familie oder dem Umfeld krank wird, ist eine reale Bedrohung. Grundsätzlich spiegelt auch ein Albtraum Themen, die einen gerade im Leben beschäftigen, wider – allerdings in einer dramatisierten Form. Fallen wir im Traum ins Bodenlose, dann ist das eine extreme Darstellung von Kontrollverlust; es gibt nur einen möglichen Ausgang, auf den wir keinen Einfluss nehmen können: Dass man unten aufschlägt. Durch diese starke Angst wachen wir meist auf. Träumen Sie gleich mehrmals zu fallen, sollten Sie das unbedingt angehen. Häufig sind auch Verfolgungsträume. Wir laufen dann vor einem Monster, Löwen oder auch Menschen davon. Dieses Grundmuster bezeichnet die Psychologie als Vermeidungsverhalten. Wir schieben unangenehme Aufgaben vor uns hin, was im Traum dramatisiert zum Ausdruck kommt. Gerade Kinder und Jugend liche träumen häufig vom Verlust eines geliebten Menschen. Denn sie stecken mitten in der Phase von Selbstständigkeit. Die frühere Annahme, dass solche Träume hell sichtig oder eine Prophezeiung sein könnten, steigerten die Angst nur noch. Erleben wir im Traum etwas Positives, dann stellt sich die Frage, ob es möglich ist, solche Gefühle auch im Wachleben herbeizuführen.

Also können wir unsere Träume steuern?
Die beste Beeinflussung unserer Trauminhalte ist das Führen eines entspannten Wachlebens. Das sogenannte Luzide Träumen oder Klarträumen bietet eine Möglichkeit, aktiver im Traum zu handeln. Vor allem Junge interessieren sich dafür und wollen das ausprobieren. Dieser Hype für diese Traumart ist durch Filme wie «Inception» zu erklären.

Beeinflusst der Mond unseren Schlaf und unsere Träume?
Dazu haben wir Traumtagebücher über mehrere Wochen ausfüllen lassen und nachträglich mit den Mondphasen verglichen, die Versuchspersonen wussten nicht, dass es um Mondzyklen geht. Das Ergebnis: Wir konnten keinen direkten Effekt nachweisen. Wenn man jedoch denkt, dass der Mond einen Einfluss hat, kann das den Schlaf beeinflussen. Wenn wir schlechter schlafen und leichter aufwachen, dann erinnern wir uns eher an Träume. Wie jetzt etwa, wenn die Zeitumstellung das Ein- oder Durchschlafen stört. Es ist wichtig, hier gelassen zu bleiben. Eine entspannte Einstellung zum Schlaf ist immer noch das beste Schlafmittel. Übrigens habe ich inzwischen nachgeschaut: Ich habe letzte Nacht geträumt, dass ich an einem Treffen meines Abi-Jahrgangs teilnahm, was spannend ist, weil alte Themen aktiviert werden.

Danica Gröhlich ist Redaktorin bei «GESUNDHEITHEUTE», der Gesundheitssendung am Samstagabend auf SRF 1.
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