«Einsamkeit und Alleinsein sind nicht dasselbe»

Interview Jeanne Fürst und Fabienne Eichelberger, 7. Dezember 2023

(Symbolbild: iStock)

Viele Menschen leiden unter Einsamkeit. Darüber zu sprechen, fällt ihnen schwer. Etwa, weil das Gefühl zu häufig stigmatisiert werde, sagt die Psychologin Asha-Naima Ferrante.

Asha-Naima Ferrante, wie definieren Sie den Unterschied zwischen Einsamkeit und Alleinsein?
Einsamkeit ist ein schmerzhaftes Gefühl. Ich verbinde es hauptsächlich mit Verlusten durch Todesfälle oder Beziehungsabbrüche. Alleinsein hingegen ist etwas, das man selbst wählt und aus dem man Kraft schöpfen kann. Zum Beispiel, indem man allein in die Natur geht, um seine Gedanken zu ordnen.

Wie beeinflusst Einsamkeit Körper und Psyche?
Chronische Einsamkeit löst im Körper Stress aus. So wird das Immunsystem geschwächt und das Risiko für Herz-Kreislauf- Erkrankungen sowie Schlaganfälle erhöht. Der Mangel an sozialem Austausch kann auch das Entstehen einer Demenzerkrankung begünstigen. Auf psychischer Ebene kann Einsamkeit zu Depressionen und Angsterkrankungen führen. Immer mehr junge Menschen leiden unter Einsamkeit.

Asha-Naima Ferrante ist Psychologin und Expertin für Einsamkeit. Sie lancierte die Plattform soli-be.ch.

Was sind die Ursachen?
Ich denke, wir haben ein Stück weit den Gemeinschaftssinn verloren. Junge Menschen sind einem enormen Leistungsdruck ausgesetzt, wodurch viele danach streben, sich und ihr Leben ständig zu optimieren. Die sozialen Medien verstärken dies, weil sie den Vergleich mit anderen ermöglichen. Dadurch kann das Gefühl entstehen, nicht zu genügen. Um sich dann vor potenzieller Ablehnung zu schützen, isoliert man sich lieber.

Weshalb fällt es vielen Betroffenen schwer, über ihre Einsamkeit zu sprechen?
Leider wird Einsamkeit häufig stigmatisiert. Einige betroffene Menschen denken, sie trügen eine Mitschuld an ihrer Einsamkeit. Das hemmt sie, darüber zu sprechen. Ausserdem möchten sie nicht als krank wahrgenommen werden.

Sind sie das denn?
Einsamkeit ist keine Krankheit. Schlagzeilen wie «Einsamkeit ist die neue Epidemie» oder «Einsamkeit: Volkskrankheit Nummer eins» suggerieren das aber. Es ist zwar schön, dass Einsamkeit immer häufiger thematisiert wird, auf diese Weise hilft es Betroffenen jedoch nicht.

Was hilft denn gegen Einsamkeit?
Das ist sehr individuell. Betroffene müssen selber herausfinden, was ihnen fehlt. Dann können sie Strategien entwickeln und aktiv werden. Viele finden etwa in der Freiwilligenarbeit einen Sinn. Möchte man ein Hobby mit anderen ausüben, kann man sich Gruppen wie «Wandern für alle» anschliessen oder selbst eine gründen. Leidet man stark unter Einsamkeit, ist professionelle Hilfe empfehlenswert.

 

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