«Annäherungen muss mann konsequent ignorieren»

Interview Jeanne Fürst und Fabienne Eichelberger, 5. Oktober 2023

(Symbolbild: iStock)

Stalker bedrohen und verfolgen ihre Opfer und fügen ihnen damit grossen Schaden zu. Dagegen sollten mit Fachleuten Strategien entwickelt werden, sagt die Expertin Pia Allemann.

Pia Allemann, wie wird jemand zum Stalker?
Es gibt zwei Hauptgründe: einerseits, weil man eine Beziehung wiederherstellen möchte, andererseits aus Rache. Weniger verbreitet ist die Gruppe von Menschen, die Prominente stalken. Sie handeln oft wahnhaft und haben meist eine psychiatrische Diagnose.

Und die anderen Stalker?
Die gelten in der Regel nicht als krank. Oft haben sie aber in den ersten Lebensjahren keine sichere Bindung erfahren. Vor allem Männer versuchen später, diese durch eine symbiotische Liebesbeziehung herzustellen. Sie agieren manipulativ und wollen ihre Partnerin von ihrem Umfeld isolieren.

Pia Allemann ist Co-Leiterin der Beratungsstelle für Frauen gegen Gewalt in Ehe und Partnerschaft.

Sind es meist Männer, die stalken?
Ja, gemäss dem Eidgenössischen Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann beträgt der Anteil männlicher Stalker je nach Studie zwischen 63 und 85 Prozent.

Was löst Stalking aus?
Die Opfer geraten in einen chronischen Stresszustand, fühlen sich hilflos, ausgeliefert und können nicht mehr schlafen. Einige befürchten, verrückt zu werden, weil sie denken, ihren Stalker überall zu sehen. Viele entwickeln eine posttraumatische Belastungsstörung.

Wie soll man reagieren, wenn man gestalkt wird?
Das Wichtigste ist, fachliche Hilfe einzuholen. Steckt man noch in einer Beziehung mit dem Stalker, ist es nicht empfehlenswert, ihm alleine zu sagen, dass man sich trennt – das könnte gefährlich werden. Besser ist es, Strategien zu entwickeln und rechtliche Möglichkeiten zu prüfen. Hat man kommuniziert, dass man den Kontakt nicht mehr will, muss man Annäherungsversuche konsequent ignorieren.

Wo findet man Hilfe?
Liegt eine akute Gefährdung vor – beispielsweise, wenn der Stalker sagt, er tue sich oder dem Opfer etwas an –, ist die Polizei die richtige Anlaufstelle. Will man diese nicht einschalten, kann man sich bei einem Frauenhaus melden, das rund um die Uhr Opfer aufnimmt. Zudem hat jeder Kanton anerkannte Opferberatungsstellen, die kostenlos und vertraulich Unterstützung anbieten.

Welche rechtlichen Möglichkeiten gibt es?
Muss ein Opfer seinen Alltag ändern und kann etwa sein Zuhause nur noch über die Garage verlassen, um den Stalker zu meiden, kann es strafrechtlich vorgehen und wegen Nötigung klagen. Zudem kann das Opfer über das Zivilrecht ein Annäherungs-, Rayon- und Kontaktverbot beantragen. Aktuell läuft eine Vernehmlassung zu einem neuen Artikel im Strafrecht, der sämtliche Stalking-Handlungen abdeckt.

opferhilfe-schweiz.ch

 

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