Interview Jeanne Fürst und Fabienne Eichelberger, 29. Juni 2023
Kaufsucht ist die häufigste Verhaltenssucht. Durch das Shoppen im Internet sind vermehrt auch Männer davon betroffen, sagt der Psychologe Renanto Poespodihardjo.
Renanto Poespodihardjo, wie erkennt man eine Kaufsucht?
Sie lässt sich anhand verschiedener Faktoren diagnostizieren. Zentral sind finanzielle und soziale Schäden – diese liegen etwa in Form von Zahlungsrückständen und Konflikten mit Mitmenschen vor – sowie ein Leidensdruck der Betroffenen. Sie sind sich der Schäden bewusst, können aber ihr exzessives Kaufverhalten nicht kontrollieren.
Welche weiteren Anzeichen gibt es?
Etwa die Priorisierung: Die Gedanken von Betroffenen drehen sich ständig ums Kaufen, alles andere wird meist vernachlässigt. Weiter kann es ein Hinweis auf eine Kaufsucht sein, wenn man durch das Kaufen unangenehme Gefühle kompensieren will.
Leiden viele Menschen an einer Kaufsucht?
Von den Verhaltenssüchten wie Geldspiel- oder Sexsucht ist die Kaufsucht am weitesten verbreitet. Mindestens 5 Prozent der Bevölkerung entwickeln im Lauf ihres Lebens einmal eine Kaufsuchtproblematik. Beim Geldspiel sind es zwischen 0,5 und 2 Prozent.
Sind gewisse Menschen besonders gefährdet, an Kaufsucht zu erkranken?
Nein, jeder kann eine solche Suchterkrankung entwickeln.
Was ist dran am Klischee, dass Frauen häufiger betroffen sind?
Früher war das so. Ein Grund dafür ist, dass 8,5 von 10 Geschäften primär auf Frauen ausgerichtet sind und sie sich deshalb verstärkt von den angebotenen Produkten angezogen fühlen. Die Möglichkeit des Einkaufens im Internet führte jedoch zu einem Wandel. Onlineshops sind meist neutraler gehalten als eine Verkaufsfiliale. Darum steigt die Zahl der Männer, die an Kaufsucht erkranken, seit einigen Jahren an.
Wie wird Kaufsucht therapiert?
Leidet jemand unter seinem Kaufverhalten, ist es wichtig, dass sich dieser Mensch in eine Psychotherapie begibt. Der regelmässige Austausch mit einem Gegenüber, das einen nicht bewertet, hilft. Wichtige Elemente der Therapie sind, gemeinsame Ziele zu erfassen, ein Konzept zu erarbeiten, um Zahlungsrückstände strukturiert zu begleichen, und die Stigmatisierung aufzuheben.
Was meinen Sie damit konkret?
Betroffene – wie auch ihr Umfeld – sollen die Sucht als Krankheit anerkennen. Wir sprechen etwa nicht von Rückfällen, sondern von Vorfällen. Diese gehören zur Krankheit. Hatte jemand eine Grippe und wird bald wieder krank, sagen wir schliesslich auch nicht, die Person sei rückfällig geworden.