«Kurze Stromimpulse regulieren das Gehirn»

Interview Jeanne Fürst und Fabienne Eichelberger, 11. Mai 2023

Eine von fünf Personen erkrankt im Laufe ihres Lebens an einer Depression. Ist diese besonders schwer behandelbar, können neue Therapien helfen, sagt die Neurologin Annette Brühl.

Annette Brühl, nicht alle Menschen mit Depressionen sprechen auf Antidepressiva an. Welche Alternativen gibt es?
Zwei Methoden, die oft gute Erfolge erzielen, sind die Behandlung mit einer Elektrokonvulsionstherapie (EKT) oder mit Esketamin, der für Depressionen zugelassenen Spezialform von Ketamin. Die EKT kommt bei Menschen, die schwer krank sind und eine rasche Linderung der Symptome benötigen, zum Einsatz. Ketamin hilft Patienten mit mittelschweren Depressionen, die auf mehrere Medikamente nicht angesprochen haben.

Wie läuft eine EKT ab?
Wir «kitzeln» unter einer kurzen Narkose das Hirn mit Stromimpulsen. Dadurch wird ein epileptischer Anfall ausgelöst, der maximal 60 Sekunden dauern sollte und dazu führt, dass Hormone und Nervenwachstumsstoffe ausgeschüttet werden. Im Grunde ist die Technik vergleichbar mit dem Neustart eines PC: Das Hirn wird frisch eingestellt.

Annette Brühl ist Chefärztin an den Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel.

Schmerzt die Behandlung?
Nein. Unmittelbar nach der Therapie können die Behandelten an Kopfschmerzen leiden, seltener an Übelkeit. Zudem haben die Patientinnen und Patienten innert vier Wochen zwölf Sitzungen. Berichtet jemand nach der ersten Behandlung von Kopfschmerzen, können wir vor der nächsten Sitzung Paracetamol verabreichen, um diese Nebenwirkung zu verhindern.

Gibt es weitere?
Gegen Ende der Behandlungsserie können Gedächtnisprobleme auftreten, da sich das Gehirn neu reguliert und Erinnerungen aus der Behandlungszeit nicht richtig gespeichert werden. Danach funktioniert das Gedächtnis aber meist besser als zuvor.

Wie lange dauert es, bis die Depressivität abnimmt?
Rund zwei Wochen nach der ersten Behandlung ist eine Verbesserung wahrzunehmen.

Was sind die Vorteile einer Esketamin-Behandlung?
Die Substanz wirkt schneller als eine EKT, und rund 60 Prozent der Menschen, denen Antidepressiva nicht helfen, sprechen auf sie an. Esketamin wird als Nasenspray verabreicht und regt das Nervenwachstum an. Die Nebenwirkungen sind gering: Einige Personen berichten von Übelkeit und Schlafstörungen.

Ketamin ist ein Narkosemittel, wird aber auch als Partydroge missbraucht. Macht es abhängig?
Als Rauschmittel eingesetzt, kann Esketamin abhängig machen. Bei unserer Anwendung aber besteht diese Gefahr nicht, da die Dosis dafür viel zu gering ist. Nach der Einnahme schweben unsere Patientinnen und Patienten zwar für gewisse Zeit über dem Boden, ein richtiges High erleben sie jedoch nicht.

 

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