«Neue Brillengläser können Kurzsichtigkeit bremsen»

Interview Jeanne Fürst und Fabienne Eichelberger, 16. März 2023

(Symbolbild: iStock)

Im Kindesalter ist es heute möglich, das Fortschreiten einer der häufigsten Sehschwächen aufzuhalten. Das sagt Augenärztin Nicole Arnold.

Nicole Arnold, was sind die Ursachen für eine Kurzsichtigkeit?
Zum Entstehen einer Kurzsichtigkeit tragen genetische Faktoren und Umwelteinflüsse bei. Ist ein Elternteil kurzsichtig, wird das Kind mit einer Wahrscheinlichkeit von 30 Prozent die Sehschwäche ebenfalls entwickeln. Sind beide Elternteile betroffen, haben die Kinder ein 60-prozentiges Risiko, kurzsichtig zu werden.

Welches sind die negativen Umwelteinflüsse?
Studien zeigen, dass Kinder, die selten an der frischen Luft sind, eher kurzsichtig werden als solche, die täglich mindestens zwei Stunden draussen sind. Ein weiterer Faktor ist die Naharbeit: Kinder, die lange in die Nähe schauen, entwickeln vermehrt eine Kurzsichtigkeit. Sie sollten deshalb den Lesestoff nicht zu nahe vor die Augen halten und wenn immer möglich alle 30 Minuten eine Pause einlegen.

Wie unterscheidet sich ein kurzsichtiges von einem gesunden Auge?
Der Augapfel von kurzsichtigen Menschen ist zu lang. Dadurch liegt der Brennpunkt – also der Punkt, an dem die einfallenden Lichtstrahlen gebündelt werden – nicht auf der Netzhaut, wo sich die Sehzellen befinden, sondern davor. In der Folge wird das Bild unscharf. In selteneren Fällen ist die Brechkraft der Linse zu stark, was ebenfalls zu einer Bündelung der Lichtstrahlen vor der Netzhaut führt.

Nicole Arnold ist Fachärztin für Augenheilkunde am Augenzentrum Bahnhof Basel.

Wie viele Menschen sind kurzsichtig?
Weltweit immer mehr. In Asien sind es bereits 80 bis 90 Prozent der jungen Erwachsenen, in Europa knapp 50 Prozent der 25- bis 29-Jährigen.

Lässt sich eine Kurzsichtigkeit stoppen?
Ja, es gibt drei Massnahmen, die das weitere Fortschreiten vermindern können. Die eine ist eine Behandlung mit niedrig dosierten Atropin-Augentropfen. Weiter können Kontaktlinsen helfen. Eine spezielle Nachtlinse modelliert etwa die Hornhaut im Schlaf so, dass tagsüber die Kurzsichtigkeit ausgeglichen ist. Gleichzeitig sorgt sie dafür, dass der Augapfel nicht weiter wächst. Seit kurzem sind zudem Multisegment-Brillengläser auf dem Markt, die ich sehr empfehle.

Weshalb?
Sie korrigieren ebenfalls nicht nur die Kurzsichtigkeit, sondern bremsen auch das Längenwachstum des Auges. Im Gegensatz zu einer Kontaktlinse besteht bei einer Brille kein Infektionsrisiko, und anders als bei den Augentropfen muss nicht an eine zusätzliche Therapie gedacht werden. Warum ist es wichtig, das Fortschreiten einer Kurzsichtigkeit zu bremsen? Wächst das Auge zu stark in die Länge, wird die Netzhaut gedehnt, was sie anfällig macht für Komplikationen wie eine Netzhautablösung.

 

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