«Bewegung ist trotz Schmerzen wichtig»

Interview Jeanne Fürst und Fabienne Eichelberger, 19. Januar 2023

(Symbolbild: iStock)

Chronische Schmerzen sind hartnäckig. Soziale Faktoren seien bei der Therapie deshalb wichtig, sagt der Schmerztherapeut Konrad Streitberger.

Konrad Streitberger, ab wann sind Schmerzen chronisch?
Wenn sie länger als drei Monate anhalten oder wiederkehren und eine körperliche Beeinträchtigung oder einen emotionalen Leidensdruck mit sich bringen. Sie entstehen als Folge von Verletzungen und Erkrankungen oder entwickeln sich als eigenständige Schmerzerkrankung.

Wie verbreitet sind sie?
Einer von fünf Erwachsenen leidet in Europa an chronischen Schmerzen. Manche Betroffene sind durch die Schmerzen wenig eingeschränkt, andere können mit ihnen kaum weiterleben.

Konrad Streitberger leitet das Schmerzzentrum des Inselspitals Bern.

Wie kann ein ständiger Schmerz verhindert werden?
Indem möglichst früh biologische, psychologische sowie soziale Faktoren untersucht werden, die für die weitere Schmerzentwicklung eine zentrale Rolle spielen: Zu den psychologischen Faktoren zählen etwa Angst und Stress, zum sozialen Bereich das familiäre und berufliche Umfeld. Auf körperlicher Ebene gilt es, starke akute Schmerzen rasch mit Medikamenten zu behandeln und den Körper zu kräftigen.

Bewegung ist also trotz Schmerzen wichtig?
Ja. Die Betroffenen sollten sich jedoch mit den Behandelnden absprechen und abklären lassen, ob Verletzungen vorliegen, die sich verschlimmern könnten. Ist das nicht der Fall, besteht keine Gefahr für eine Verstärkung der Schmerzen. Aber: Langfristiges Schonen führt eher zu einer Chronifizierung.

Welche Therapien helfen, wenn Schmerzen chronisch sind?
Physiotherapie, psychologische und sozialarbeiterische Begleitung sind essenziell. Patientinnen und Patienten sollen lernen, den Schmerz als Begleiter zu akzeptieren, und Strategien entwickeln, die ihnen ermöglichen, das Leben trotzdem zu geniessen. Das klingt anspruchsvoll. Ist es auch! Es erfordert viel Kraft und Initiative der Betroffenen. Chronische Schmerzen lassen sich nicht wegzaubern. Deshalb ist es nicht das Ziel, die Patienten zu heilen, sondern ihre Lebensqualität zu verbessern. Dabei ist die soziale Unterstützung wichtig, die leider oft zu wenig beachtet wird.

Was müsste geschehen?
Hat jemand einen Monat Schmerzen und ist nicht im sozialen Leben integriert, ist es höchste Zeit, etwas zu unternehmen. Ansonsten ist das Risiko gross, dass sich die Schmerzen durch Stress und Depressionen verstärken. Um dies zu verhindern, wurde ein Präventionsprojekt mit der Gesundheitsförderung Schweiz lanciert.

 

Empfehlen Sie diesen Beitrag weiter: