«Ein gespiegelter Körperteil lindert Schmerz»

Interview Jeanne Fürst und Fabienne Eichelberger, 24. November 2022

(Symbolbild: iStock)

Phantomschmerz tritt in einem Körperteil auf, der nicht mehr vorhanden ist. Meist nach einer Amputation. Wie er behandelt wird, sagt die Neurochirurgin Janine-Ai Schlaeppi.

Janine-Ai Schlaeppi, was sind Phantomschmerzen?
Das sind Nervenschmerzen, die nach Amputationen auftreten können. Die Betroffenen empfinden dort, wo sich der Körperteil befand, einen einschiessenden, elektrisierenden oder brennenden Schmerz. Er kann kommen und gehen oder dauerhaft spürbar sein.

Nach einer Amputation kann es im Weiteren zu Phantomempfindungen oder zu Stumpfschmerzen kommen. Was sind die Unterschiede?
Menschen mit Phantomempfindungen spüren die amputierte Gliedmasse noch, leiden aber glücklicherweise nicht unter Schmerzen. Phantomempfindungen kommen häufig vor, haben aber keinen Krankheitswert. Stumpfschmerzen treten lokal am Amputationsstumpf auf. Sie klingen in der Regel während eines Heilungsverlaufs ab.

Janine-Ai Schlaeppi engagiert sich als Oberärztin für Neurochirurgie am Inselspital in Bern.

Wie häufig sind Phantomschmerzen?
Nach einer Amputation leiden 50 bis 80 Prozent der Patientinnen und Patienten darunter. Wann die Schmerzen erstmals einsetzen, ist ganz unterschiedlich. Je länger jemand nichts spürt, desto unwahrscheinlicher wird es, dass Phantomschmerzen später noch auftreten werden. Ausgeschlossen ist ihr Auftreten aber auch Jahre nach der Amputation nicht.

Was begünstigt Phantomschmerzen?
Etwa, wenn die Patientinnen oder Patienten vor der Amputation Schmerzen in den entsprechenden Körperteilen hatten. Zudem treten sie häufiger auf, wenn im Bereich der Beine oder nahe des Körperstamms amputiert wurde. Auch Depressionen, Ängste und Stress begünstigen ihr Entstehen.

Wie werden sie behandelt?
Meist wird eine Kombination von Therapien empfohlen. In der Regel beginnt man mit konservativen Therapien: Die Betroffenen erhalten Medikamente, und es wird zu physikalischen Therapien wie Massagen und Bädern geraten. Viele Betroffene profitieren von der Spiegeltherapie, bei welcher der vorhandene, gesunde Körperteil gespiegelt wird. Durch den visuellen Reiz werden die Schmerzen gelindert.

Und wenn diese Therapien nicht anschlagen?
Dann gibt es Möglichkeiten im Bereich der Neuromodulation. Dabei wird das Nervensystem stimuliert.

Bei wie vielen Betroffenen verschwinden die Schmerzen?
Genaue Angaben gibt es nicht. Oft klingen die Beschwerden innerhalb der ersten zwei Jahre ab. Wichtig ist, dass rasch gehandelt wird: Je früher Phantomschmerzen erkannt und therapiert werden, desto höher sind die Erfolgschancen.

 

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