«Bei Brustkrebs ist Selbstfürsorge wichtig»

Von Danica Gröhlich, 21. September 2022

Hand in Hand mit der Schul- und Integrativ-Medizin: Kraft schöpfen nach einer Krebsdiagnose. (Credit: iStock)

Jedes Jahr erhalten 6’300 Frauen und 50 Männer in der Schweiz die Diagnose Brustkrebs. Wie die Komplementär-Medizin hilft, Krebs-Therapien besser durchzustehen.

«Da muss es einfach noch mehr geben!» Davon war Dr. med. Maik Hauschild fest überzeugt. Bis dahin hatte der aus Berlin stammende Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe über 15 Jahre lang streng nach Schulmedizin behandelt. Dann half der Chefarzt der Frauenklinik Rheinfelden beim Aufbau eines Brustzentrums mit Integrativ- Medizin – und stiess auf grosses Interesse als auch Dankbarkeit.

Herr Dr. Hauschild, Sie betrachten Brustkrebs ganzheitlich. Was heisst das konkret?
Wir sehen die Basis der Therapie nach wie vor in der Schulmedizin, erweitern die Behandlungen aber inzwischen seit rund zehn Jahren um weitere Verfahren wie etwa mit der Traditionellen Chinesischen Medizin, kurz TCM. Deshalb spreche ich auch nicht gerne von der Alternativ-, sondern vielmehr von der Komplementär- und Integrativ-Medizin.

War von Seiten der Schulmedizin Skepsis vorhanden?
Im Gegenteil. Selbst viele Mitarbeitende der Schulmedizin zeigten Interesse und wollten sich weiterbilden. Auch, weil laut Studien rund 80 Prozent der Patientinnen und Patienten nach weiteren Methoden suchen. Etwa die Hälfte der Betroffenen macht bereits etwas zusätzlich, wovon die behandelnden Ärztinnen und Ärzte meist aber nichts wissen. Erst vor ein paar Jahren hat dann dieses Umdenken eingesetzt, dass die Komplementär-Medizin auch im klassischen Spitalbetrieb zum Einsatz kommt. Dafür braucht es natürlich Fachpersonen mit der entsprechenden Zusatzausbildung, etwa in Naturheilkunde oder für Anthroposophische Medizin. Mein Ziel war stets, dass die Patientinnen und Patienten ein Gesamtangebot bekommen und selbständig entscheiden können. Welchen Weg möchte ich gehen? Was aus der Schul- und was aus der Integrativ- Medizin nehme ich? Wichtig ist in diesem belastenden Prozess, dass Betroffene selbst entscheiden.

Dr. med. Maik Hauschild, Chefarzt Gynäkologie und Geburtshilfe, Gesundheitszentrum Fricktal GZF (Credit: zVg.)

Wann kommt denn die Integrativ-Medizin zum Zuge?
Wir setzen diese verschiedenen Verfahren als sogenanntes Nebenwirkungsmanagement ein, um eine Behandlung erträglicher zu machen. Beispielsweise Akupunktur gegen Übelkeit während einer Chemo- Therapie. Aber auch spezielle Wickel oder eine Aroma-Therapie. Dies kann die Heilungsrate erheblich verbessern, da Krebs-Therapien damit nicht mehr vorzeitig abgebrochen werden. Wir bieten zudem Kurse in der sogenannten Mind-Body- Medizin an mit Beratungen zu Ernährung, Bewegung oder mentalen Hilfestellungen, um die eigenen Ressourcen zu stärken, an der Regeneration zu arbeiten und entspannter mit der Belastung umgehen zu können. Denn eine Krebserkrankung trifft einen mitten im Leben. Frauen mit Brustkrebs haben oft ohnehin schon erhebliche Belastungen durch Verantwortung für Kinder, Familie und Beruf. Die Erkrankung zwingt zur Reflexion. Grundsätzliche Fragen tauchen auf. Was möchte ich im Leben? Mit den Methoden der Mind-Body-Medizin kümmert man sich bewusst um sich selbst, vermittelt sich gegenüber Achtsamkeit. Selbstfürsorge ist wichtig. Viele Betroffene haben das Bedürfnis, aktiv an der Behandlung und an der Heilung teilzuhaben und nicht hilflos ausgeliefert zu sein.

Lassen sich alle gleich darauf ein?
Nach einer Krebs-Diagnose fallen die meisten in ein tiefes Loch, kommen selbst nicht mehr heraus und brauchen Unterstützung. Deshalb ist auf den Visiten jeweils auch eine Psychoonkologin dabei, die sich Zeit nimmt, um Berührungsängste abzubauen. Dies bricht Mauern auf. 90 Prozent nehmen auf jeden Fall die erste Beratung an. Oft vermitteln wir auch eine Kunst-Therapie zur Verarbeitung solcher Erkrankungen. Meist wird die Ernährungsberatung in Anspruch genommen. Zu Beginn sind tatsächlich viele eher skeptisch, hören es sich aber doch an. Dann merken sie, dass diese Behandlungsform Hand und Fuss hat und keinesfalls esoterisch ist. Viele ahnen gar nicht, dass es etliche evidenzbasierte, also geprüfte Verfahren gibt. Und nur diese wenden wir an.

Wie sehen solche Behandlungen aus?
Nehmen wir beispielsweise Naturheilverfahren wie die Phytotherapie mit pflanzlichen Wirkstoffen. So verbessert etwa die Mistel-Therapie, die aus der Anthroposophischen Medizin stammt, die Verträglichkeit einer Krebs-Behandlung und steigert die Lebensqualität während dieser kräftezehrenden Zeit. So reduziert die Mistel die extreme Müdigkeit und Erschöpfung unter der viele Krebs-Patientinnen und -Patienten leiden, normalisiert den Schlafrhythmus, verbessert den Appetit sowie das Wärmeempfinden. Die Mistel-Therapie erfolgt durch Injektionen, wobei das Präparat unter die Haut gespritzt wird. Der Wirkstoff kann auch höher dosiert als Infusion verabreicht werden. So wird Fieber ausgelöst, um das Immunsystem zu stimulieren. In der Regel können sich Krebs-Patientinnen und -Patienten diese Präparate selbst spritzen. Auch äussere Anwendungen bieten wir im Zentrum an. So etwa Einreibungen oder Auflagen mit Lavendel, der einen stark beruhigenden Effekt hat und die Herzfrequenz herabsetzt. Damit kann die Einnahme von Schmerzmitteln deutlich reduziert werden. Auch Auflagen mit Rosenwasser auf den Augen hat einen ähnlichen Effekt. Speziell ausgebildete Pflegefachkräfte setzen diese Methoden ein. Doch auch im ambulanten Bereich ist eine Aroma-Therapie möglich. Hier kann zum Beispiel das Riechen an speziellen Riechstiften den Reiz zur Übelkeit deutlich reduzieren. Zudem zeigen wir, wie auch Wickel daheim selbst angelegt werden können. Denn warme Wickel mit verschiedenen Wirkstoffen führen zu einer sehr grossen Tiefenentspannung und verbessern die Verträglichkeit der Chemo-Therapie. Die Patientinnen und Patienten werden dadurch zur Ruhe gezwungen, sie müssen liegen und entspannen von alleine.

Sie behandeln auch Männer mit Brustkrebs. Wie gehen sie damit um?
Etwa ein Prozent in unserem Brustzentrum sind Männer. Und die sind etwas zurückhaltender mit der komplementären Medizin. Das liegt sicherlich daran, dass Brustkrebs bei Männern immer noch eher ein Tabuthema ist. Es gibt auch keine Selbsthilfegruppen für sie. Zudem wollen Männer eine Krankheit möglichst schnell abhaken. Männer erhalten von uns zwar die gleichen Angebote, sie nehmen diese aber deutlich weniger an. Frauen dagegen sind offener, möchten an der Erkrankung arbeiten und aktiv an ihrem Heilungsprozess teilnehmen. Was mich aber immer wieder aufs Neue berührt, ist die Dankbarkeit der Menschen, die wir auf ihrem Weg ganzheitlich unterstützen dürfen.


Auch Männer haben Brustkrebs

Das Brustgewebe ist beim Mann ähnlich aufgebaut. Deshalb können sich dort ebenfalls Tumore bilden. So erkranken in der Schweiz jedes Jahr auch rund 50 Männer neu an Brustkrebs. Vier von fünf betroffenen Männern sind zum Zeitpunkt der Diagnose 60 Jahre oder älter. Was die Risikofaktoren für Brustkrebs beim Mann sind, welche Symptome darauf hinweisen können und wie die Behandlung aussieht, erfahren Sie auf der Website der Krebsliga Schweiz: www.krebsliga.ch


Danica Gröhlich ist Redaktorin bei «GESUNDHEITHEUTE», der Gesundheitssendung am Samstagabend auf SRF 1.
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