«Die verminderte Kraft sinnvoll einsetzen»

Interview Jeanne Fürst und Danica Gröhlich, 9. Juni 2022

(Symbolbild: Pixabay)

Wegen der Covid-Pandemie leiden viele unter einer chronischen Erschöpfung. Doch auch Krebs löst oft eine Fatigue aus. Was dagegen hilft, sagt der Onkologe Holger Hass.

Herr Hass, wie muss man sich eine sogenannte Fatigue vorstellen?

Oft wird eine chronische Müdigkeit als Symptom beschrieben. Eigentlich handelt es sich hier aber um eine chronische Erschöpfung, die sich nicht durch Schlaf bessert. Die Betroffenen sind nicht nur körperlich, sondern oft auch mental und psychisch erschöpft. Viele können ihre Arbeit wegen fehlender Kraft, aber auch wegen Konzentrationsstörungen nicht mehr meistern. Eine Fatigue gilt nach abgeschlossener Krebstherapie als Hauptursache für eine Arbeitsunfähigkeit. Zudem können Hobbys und Aktivitäten wie Sport nicht mehr ausgeführt werden. Selbst das Lesen von Büchern kann schwerfallen.

Warum kommt es zu einer Fatigue?
Die Tumor-assoziierte Fatigue kann sowohl im Rahmen einer unbehandelten Krebserkrankung, durch den Tumor selbst, als auch durch die Krebstherapie hervorgerufen werden. Denn Krebszellen, aber auch Krebsbehandlungen wie Chemotherapie oder Bestrahlung lösen Entzündungsprozesse im Körper aus. Auch beispielsweise bei der multiplen Sklerose oder bei einer Covid-Infektion kann Fatigue auftreten. Hier geht man ebenfalls davon aus, dass diese Erkrankungen Entzündungen im Körper verursachen – vor allem in den kleinen Blutgefässen. Für eine Fatigue existieren verschiedene Ursachen, die chronische Erschöpfung kann aber sehr ähnlich verlaufen.

Holger Hass ist Chefarzt der Onkologie in der Klinik Gais AR.

Was hilft gegen eine Fatigue bei Krebs?
Eine Standardtherapie gibt es nicht. Man muss unterscheiden, ob die körperliche Schwäche oder die kognitive Beeinträchtigung im Vordergrund steht. Zudem sollten Begleitfaktoren wie Schlafstörungen, die eine Fatigue verstärken können, behandelt werden. Zur Therapie gehören neben einem angepassten Sport- und Bewegungsprogramm regelmässige Erholungsphasen, Entspannungsübungen sowie eine gute Tagesplanung, um die verminderte Kraft sinnvoll einzusetzen. Sogenanntes Energie-Management ist essenziell. Fatigue-Patientinnen und -Patienten sollten sich ausgewogen ernähren und Übergewicht vermeiden. Man weiss, dass sich die Fatigue im Laufe der Zeit bessern kann. Häufig bestehen die Beschwerden aber viele Monate oder gar Jahre.

Hat sich die Behandlung seit Covid verändert?
Bis jetzt nicht. Auch bei der Fatigue- Therapie nach Covid- Infektion, dem Long-Covid- Syndrom, werden die erwähnten Massnahmen eingesetzt. Also angepasstes körperliches Training, Ruhepausen und Energie-Management. Es gibt allerdings erste, vielversprechende Therapieansätze mit spezifischen Antikörpern, die eventuell künftig bei verschiedenen Fatigue-Formen helfen könnten.

 

 

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