Das Auge isst mit: Spital-Essen im Wandel

Von Danica Gröhlich, 20. April 2022

Zu Kräften kommen: Wichtig für den Heilungsprozess ist auch die Krankenhaus-Kost. (Stadtspital Zürich)

Vom faden Einheitsbrei zum individuellen Geschmackserlebnis: Wie die Krankenhaus-Kost einer möglichst schnellen Genesung hilft.

«Cordon bleu und Fischknusperli werden in unseren Spitälern gerne bestellt.» Alexandra Suter ist Leiterin der Hotellerie am Stadtspital Zürich. Als diplomierte Ernährungsberaterin weiss sie zudem, worauf Patientinnen und Patienten Appetit haben und, wie wichtig das Essen besonders nach einer Operation ist. So seien Klassiker wie Kalbskopfbäggli oder Schmorbraten ebenfalls beliebt. Wahrscheinlich, weil diese Gerichte sehr zeitaufwendig sind, deshalb im eigenen Haushalt nicht mehr gekocht werden und einfach an Grossmutters Küche erinnern. Wie sich das Spital-Menü im Laufe der Jahre verändert hat, was bei einem Geschmacksverlust hilfreich wäre und warum die richtige Konsistenz der Speisen erreicht werden sollte, erklärt uns Alexandra Suter und lässt uns so in die Spital-Töpfe schauen.

Frau Suter, welche Rolle spielt die Ernährung für die Genesung?
In der Tat spielt die Ernährung im gesamten Prozess des stationären Spital-Aufenthaltes eine grosse Rolle. Studien stützen die bisherigen Untersuchungen, dass die Zufuhr von Mikronährstoffen und Nährstoffen, insbesondere von Proteinen, nicht nur förderlich für eine schnellere Genesung sind, sondern unabdingbar. Zugleich kann eine gute Ernährung im Krankenhaus sich auch positiv auf die psychische Gesundheit auswirken. Dies ist jedoch stark vom körperlichen Wohlbefinden abhängig. So steigt die Bedeutung der Verpflegung exponentiell an, sobald Fortschritte in der Genesung zu beobachten sind. Auch der Selbstbestimmungsgrad ist hierbei nicht zu vernachlässigen. Immerhin ist die Essensauswahl einer der wenigen Dinge, welche die Patientinnen und Patienten mitbestimmen dürfen. Abgeschnitten von der gewohnten Umgebung zu Hause sind im Spital die Menü-Auswahl, die damit verbundene Beratung und der spätere Genuss einer der bestimmenden Fixpunkte für die Patientinnen und Patienten während ihres Aufenthaltes.

Alexandra Suter, Leiterin Hotellerie Stadtspital Zürich. (zVg.)

Wie hat sich das Spital-Essen in den letzten Jahren gewandelt?
Hier hat ein starkes Umdenken stattgefunden. Früher war das Essen zweckmässig, einfach und bestand oft aus Convenience-Produkten, also aus bereits vorbereiteten Produkten, die nur noch erwärmt werden mussten. Heute setzen wir viele sogenannte Label-Produkte ein, wie beispielsweise Bio-Lebensmittel. Und wir achten stark auf regionale, saisonale und nachhaltige Nahrungsmittel.

Dabei ist sicherlich auch ein schön angerichteter Teller wichtig.
Genau. Wir erhalten nicht nur immer wieder positive Rückmeldungen zum Geschmack der Speisen, sondern auch zur ansprechenden Optik. Denn ein schön präsentiertes Essen hilft nachweislich, den Appetit zu fördern. Schliesslich isst das Auge mit.

Dennoch fehlt bei einer Krebs-Behandlung oft der Appetit oder dem Patienten wird schlecht: Welche Möglichkeiten gibt es da?
Leider kommt es im Rahmen einer Krebs-Behandlung in der Tat häufig zu Übelkeit. Und viele Medikamente haben geschmacksverändernde Wirkungen. Hier hilft es, die Menü-Beratung zu intensivieren sowie die Flexibilität in der Hotellerie und Gastronomie zu erhöhen. Mit einem zielgerichteten «Last Minute »-Angebot kann beispielsweise sichergestellt werden, genau die Komponenten aufs Zimmer liefern zu lassen, auf welche unser Gast gerade doch Appetit hat.

Auch nach einer Covid-Erkrankung kann der Geschmackssinn verloren gehen: Was gäbe es da für Möglichkeiten?
Der Geschmacksverlust nach einer Covid-Erkrankung ist immer noch sehr wenig erforscht. Bisherige Studien zeigen jedoch, dass sich der Geschmackssinn in den meisten Fällen wieder normalisiert. Diesen Prozess kann man bis dahin aber unterstützen, indem die verschiedenen Geschmacksrichtungen aktiv trainiert und neu angelernt werden. So auch die bewusste Wahrnehmung von Essen. Einen kleinen Beitrag dazu versuchen wir im Spital zu leisten, indem wir das Essen ansprechend und möglichst bunt präsentieren.

Wer lange im Spital liegen muss, verliert meist sehr schnell an Muskelkraft: Was ist hier wichtig?
Sofern keine Physiotherapien möglich sind, um dem Muskelabbau entgegenzuwirken, können wir von unserer Seite her dazu beitragen, die Versorgung möglichst proteinreich zu gestalten. So kann man die Wundheilung, etwa nach einer Operation, und den Muskelerhalt möglichst positiv beeinflussen. Denn durch Wunden steigt die Stoffwechselbelastung. Der Körper verlangt mehr Nährstoffe. Auch ein höherer Bedarf an Eiweiss und Energie ist nötig, damit die Zellen sich wieder aufbauen können. Somit sind die richtigen Nährstoffe ein wichtiger Faktor für den Heilungsprozess.

Wenn jemand Beschwerden beim Schlucken hat: Wie sollte hier das Essen zubereitet werden?
Auch dies ist eine sehr wichtige Frage für uns. Denn wir sind gerade dabei, einen neuen, internationalen Standard umzusetzen. Hierfür wird abhängig von der Schluckstörung die Konsistenz der einzelnen Komponenten angepasst, um die Versorgung mit Nährstoffen sicherzustellen. Beispielsweise, wie weich Brokkoli gedämpft sein sollte, um ihn problemlos schlucken zu können, oder, wie püriertes Essen optisch und geschmacklich nicht zu einem Einheitsbrei verkocht, damit es trotz Einschränkung dennoch Freude macht. Wer Beschwerden beim Schlucken hat und zugleich Tabletten einnehmen muss, für den zerkleinern wir diese oder lösen sie in Flüssigkeit auf. Bei anhaltenden Schluck-Beschwerden arbeiten wir zudem mit einem erfahrenen Team der Logopädie zusammen.

Kann denn ein so grosser Betrieb auch auf einzelne Bedürfnisse und Ernährungsformen eingehen?
Auf jeden Fall! So gehören spezielle Speisen bei Diabetes oder eine Natriumarme Kost zur Standard-Küche des Stadtspitals Zürich. Allergien oder Unverträglichkeiten wie beispielsweise Laktose-Intoleranzen machen im Schnitt 15 Prozent des gesamten Verpflegungskreislaufes aus. Wichtig ist, eine breite Angebots- und Auswahlmöglichkeit zu haben, um auch den Personen mit speziellen Bedürfnissen die gleichen Annehmlichkeiten bieten zu können. So hat sich die ehemals eintönige Kranken-Kost hin zu einem individuell bunten Essen entwickelt – und verhilft damit sogar zu einer schnelleren Genesung.


Gut zu wissen:

  • Zum Stadtspital Zürich gehören 2 Spitäler und 2 Ambulatorien an 4 Standorten.
  • 2020 waren 32’964 Patientinnen und Patienten, Neugeborene mitgezählt, in stationärer Behandlung im Stadtspital Zürich.
  • Der durchschnittliche Aufenthalt dauert 5,8 Tage.
  • Rund 250 Mitarbeitende sind im Bereich der Hotellerie und Gastronomie beschäftigt.
  • Über 2000 Menüs werden jeden Tag zubereitet. Klassiker wie Cordon bleu, Fischknusperli oder Überbackenes wie Lasagne sind am beliebtesten.
  • Eine Menü-Auswahl ist für alle Versicherungsklassen vorhanden. Die Auswahl ist jedoch für Zusatzversicherte grösser und noch exklusiver.

Danica Gröhlich ist Redaktorin bei «GESUNDHEITHEUTE», der Gesundheitssendung am Samstagabend auf SRF 1.
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