«Mehr Patienten werden das Augenlicht behalten»

Interview Jeanne Fürst und Danica Gröhlich, 14. April 2022

(Symbolbild: Pixabay)

Erkrankungen an den Augen können zu Erblindung führen. Wem eine neue Gentherapie Hoffnung schenkt, sagt Hendrik Scholl, Professor für Ophthalmologie.

Herr Scholl, welche Augenkrankheiten sind vererbbar?
Zu den genetisch bedingten Augenkrankheiten zählen vor allem Erkrankungen der Netzhaut, also des sehenden Teils im Augenhintergrund. Von allen Geweben des menschlichen Körpers ist die Netzhaut am meisten von Genveränderungen betroffen. Dabei kann es sich um ein einzelnes Gen handeln oder um mehrere, wie etwa bei der altersabhängigen Makuladegeneration. Mittlerweile können wir in der Netzhaut ein einzelnes, defektes Gen ersetzen, so bei Retinitis pigmentosa, wovon in der Schweiz etwa 3000 Personen betroffen sind. Allerdings führen Mutationen in etwa 100 verschiedenen Genen zu Retinitis pigmentosa, aber nur ein einziges Krankheitsgen, das RPE65, lässt sich jetzt mittels dieser neuen Therapie behandeln. Hochgerechnet haben wir etwa siebzehn Fälle in der Schweiz. Drei davon sind bei uns in Behandlung.

Was sind die Anzeichen dieser Augenerkrankung?
Bei der Retinitis pigmentosa tritt relativ früh eine Nachtblindheit auf. Als Nächstes kommt es zu Tunnelsehen. Von der Seite kommende Autos werden nicht mehr erkannt. Am Ende kann die Erkrankung zur kompletten Erblindung führen. Bei der Makuladegeneration bleibt hingegen das periphere Gesichtsfeld immer erhalten. Typisch bei der Retinitis-Form mit einem defekten RPE65‐Gen ist, dass weder die Generation der Eltern noch die der Kinder betroffen ist.

Hendrik Scholl ist Chefarzt der Augenklinik am Universitätsspital Basel.

Wie sieht die Gentherapie aus?
Dazu bringen wir ein gesundes Gen zu den erkrankten Zellen im Auge. Als Träger wird ein passives Virus eingesetzt, das nicht krank macht. Dabei wird der Wirkstoff unter die Netzhaut gespritzt, dockt dann an die Zielzelle an und gibt das Genmaterial ab. Ein äusserst delikater Eingriff, da die Netzhaut nur 0,2 Millimeter dick ist. Die Operation unter dem Mikroskop dauert etwa eine Stunde. Eigentlich wäre keine Vollnarkose nötig, sie wird aber oft gewünscht, da der Patient absolut still liegen muss.

Können Blinde dann wieder sehen?
Da die Netzhautzellen von Jahr zu Jahr weiter absterben, liegt das ideale Operationsalter bei etwa drei Jahren. Die Prognose im Alter von über dreissig Jahren ist nicht mehr so gut. Bei diesem Eingriff geht es aber auch um den Erhalt des noch vorhandenen Sehens. Und es ist möglich, neue Lichtempfindlichkeiten zu gewinnen. Es gibt Patienten, die nach dem Eingriff tatsächlich wieder etwas sehen.

Heilt die Gentherapie bald weitere Augenkrankheiten?
Die Gentherapie macht grosse Fortschritte, die durchaus hoffen lassen, auch für die Makuladegeneration. So könnten wir in Zukunft noch bei mehr Menschen das Augenlicht erhalten.

 

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