«Als würden 20 Hornissen zustechen»

Interview Jeanne Fürst und Danica Gröhlich, 7. April 2022

(Symbolbild: iStock)

Menschen mit Cluster-Kopfschmerzen gehen durch die Hölle. Wie schnell eine Attacke auftritt und was sie von der Migräne unterscheidet, sagt der Neurologe Reto Agosti.

Herr Agosti, wie heftig muss man sich Cluster-Kopfschmerzen vorstellen?
Bereits eine Migräne wird auf einer Schmerz-Skala von 1 bis 10 mit 8 angegeben. Betroffene setzen den Cluster-Kopfschmerz auf eine 20! Eine Cluster-Attacke fühle sich an, als würden 20 Hornissen gleichzeitig in eine Hälfte des Kopfes stechen. Diese «Biester» kommen aus dem Nichts, meist drei- bis viermal pro Nacht, seltener tagsüber. Und es brenne auch furchtbar. Wie ein glühender Stab, der von hinten in den Kopf und durchs Auge gestossen werde. Die Ursache für Cluster-Kopfweh ist immer noch unklar. In der Schweiz leiden etwa 15 000 Menschen daran, wobei acht Männer auf eine Frau kommen. Die erste Attacke tritt im Alter von etwa 25 Jahren auf, also später als bei einer Migräne.

Was sind weitere Unterschiede zur Migräne?
Wenn der Cluster-Kopfschmerz bei der ersten Attacke links «einschlägt», dann bleibt er ein Leben lang links. Eine Migräne hingegen wechselt die Kopfseite. Beim Cluster haben wir eine Art von Kurzschluss der Nerven, die den Schmerz ans Gehirn weiterleiten. Diese verlaufen durch die Hornhaut des Auges, die Nasennebenhöhlen und die Zähne des Oberkiefers. Typischerweise wird auch das Auge rot, das Lid schwillt an, und die Nase läuft wie ein Wasserfall. Eine Cluster-Attacke dauert 30 bis 180 Minuten. Da Cluster-Kopfschmerzen an die innere Uhr gekoppelt sind, beobachten wir auch eine Häufung im Frühling.

Reto Agosti ist Neurologe, Chefarzt und Gründer des Kopfwehzentrums Hirslanden in Zürich.

Ist ein normales Leben trotz Attacken möglich?
Betroffene sind sozial sehr eingeschränkt. Während einer Cluster-Phase oder -Episode versuchen sie oft, mit Gegenschmerzen die Qualen zu überdecken. Sie können nicht schlafen, bräuchten ein isoliertes Zimmer, um den Schmerz rauszuschreien. Auch für das Umfeld sind solche Momente kaum zu ertragen. Betroffene verlieren oft den Job. Für sie wäre Homeoffice gut oder eine frei einteilbare 60-Prozent-Stelle und Unterstützung durch die IV.

Was hilft denn während einer Attacke?
Innerhalb von Minuten wirkt eine Injektion, etwa in den Oberschenkel, mit dem Sumatriptan-Pen. Auch ein Nasenspray mit ähnlicher Substanz wirkt schnell über die Nasenschleimhaut. Wirkungsvoll ist zudem reiner Sauerstoff. Dieser wird während der Attacke über eine Maske eingeatmet und verdrängt vermutlich den Schmerzübertr.ger Stickoxid (NO). Auch eine Kortison-Kur oder gewisse Blutdrucksenker können helfen. Derzeit laufen Studien zu neuen Migräne-Antikörper-Therapien. Es gibt also Hoffnung für Cluster-Geplagte und ihre Angehörigen, dass sich ihre Lebensqualität verbessern lässt.

 

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