Wenn der Krebs in die Knochen wandert

Von Danica Gröhlich, 6. April 2022

Metastasen: Krebs-Patientinnen und -Patienten müssen oft auch gegen Knochenschädigungen kämpfen. (iStock)

Ableger von Tumoren wie Brustkrebs entstehen häufig auch in den Knochen. Welche Symptome treten auf, wie sieht die Lebenserwartung aus und was sagt die Forschung?

Viel häufiger als der eigentliche Knochenkrebs sind sogenannte Knochenmetastasen, also Ableger von anderen Tumoren in den Knochen. Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es, wenn der Krebs bereits in den Knochen steckt? Wie sehen die Prognosen aus? Und wird eine Heilung in naher Zukunft möglich? Die drängendsten Fragen dazu beantwortet Prof. Roger von Moos, Chefarzt für Onkologie und Hämatologie am Kantonsspital Graubünden.

Herr Prof. von Moos, wie entstehen sogenannte Knochenmetastasen?
Bösartige Tumore haben das Potential, irgendwo im Körper Ableger zu bilden. Dies geschieht einerseits über die Lymphbahn bis zu den Lymphdrüsen hin oder aber über die Blutgefässe. Diese Tumorzellen müssen die Fähigkeit haben, in die Blutbahn einzudringen, im Blut zu überleben, sich später an die Gefässwand anzuheften, diese zu durchwandern und dann an diesem Ort zu wachsen. Bei vielen Tumorarten finden wir zwar solche zirkulierenden Tumorzellen. Das heisst aber noch nicht, dass diese Zellen auch immer die Fähigkeit zur Metastasierung haben. Die Diagnostik von diesen zirkulierenden Tumorzellen nimmt stetig an Bedeutung zu. Sie wird bis heute aber nur in Ausnahmefällen als Routine- Untersuchung angewendet.

Bei welchen Krebsarten können Tumore in die Knochen wandern?
Am häufigsten verursachen Brust-, Prostata- und Lungenkrebs Knochenmetastasen. Im Prinzip können aber fast alle Tumorarten Knochenmetastasen machen. Knochenmetastasen sieht man häufiger in den Wirbelkörpern, dem Becken und den Rippen als in den langen Röhrenknochen wie dem Oberarm oder Oberschenkelknochen. Tumorzellen siedeln sich dabei im Knochen an, geben Stoffe ab, welche die Knochenfresszellen, die sogenannten Osteoklasten, aktivieren. Diese fressen dann Löcher in den Knochen. Aus der Knochen-Matrix werden wiederum Wachstumsfaktoren freigesetzt, welche die Tumorzellen zu erneutem Wachstum stimulieren – ein Teufelskreis wird so in Gang gesetzt. Bestimmte Medikamente können hier das Ganze unterbrechen. Warum gewisse Tumore fast ausschliesslich in den Knochen metastasieren, ist noch weitgehend unbekannt. Auch gibt es bis heute keine spezifischen, medikamentöse Behandlungen, welche dies bereits vor Beginn verhindern könnten.

«Mit modernen Therapien können wir das Fortschreiten der Erkrankung und die Symptome, insbesondere Schmerzen, immer besser beherrschen.»

Wird manchmal eine Krebserkrankung erst durch andere Beschwerden an den Knochen entdeckt?
Ja, es gibt durchaus die Situation, dass jemand wegen Rückenschmerzen zur Rheumatologin oder dem Rheumatologen geht und dann eine Metastase diagnostiziert wird. Dies stellt aber eher die Ausnahme dar.

Prof. Dr. Roger von Moos, Chefarzt für Onkologie und Hämatologie am Kantonsspital Graubünden (Caroline Staeger)

Wie werden Knochenmetastasen behandelt?
Bei einer Gefährdung von Brüchen kann der Knochen durch eine Operation oder durch Strahlenbehandlungen stabilisiert werden. Eine gezielte Bestrahlung kann zudem innert weniger Tage zur Schmerzlinderung führen. Gefürchtet sind bei dieser Behandlung aber vor allem die Komplikationen, welche wir in der Fachsprache als sogenannte «Skeletal related events» zusammenfassen. Dazu zählen nach der Bestrahlung am Knochen weitere Brüche sowie spinale Kompressionen, also Stauchungen des Rückenmarks mit einer möglichen Querschnittlähmung als Folge. Alle therapeutischen Massnahmen versuchen, diese Komplikationen zu verhindern, welche durch Knochenmetastasen verursacht werden.

Welche Prognose haben Betroffene?
Knochenmetastasen sind meist nicht unmittelbar lebensbedrohlich und wir zählen die Metastasierung von Lymphdrüsen und Knochen eher zu den Niedrig-Risikogebieten. Bei Frauen beispielsweise mit Knochenmetastasen und Brustkrebs kann das Überleben bei günstigem Verlauf über viele Jahre dauern. Leber-, Lungen- und Hirnmetastasen sind als viel gefährlicher einzustufen.

Eine Heilung gibt es derzeit nicht: Sind dennoch neue Ansätze in Sicht, die hoffen lassen?
Neuere Ansätze sind Moleküle, welche radioaktiv sind und sich dort im Knochen anlagern, wo der grösste Umbau stattfindet. Also direkt in den Knochenmetastasen, sodass sie dort den Knochen von innen bestrahlen. Des Weiteren werden Knochenmetastasen teils in kleinen chirurgischen Eingriffen mit Zement aufgefüllt. Zusätzlich sind neue Medikamente in der Erforschung, welche die Osteoblasten, das sind die knochenbildenden Zellen, aktiveren. Durch das komplexe Zusammenspiel all dieser Therapien können wir das Fortschreiten der Erkrankung und die Komplikationen immer besser beherrschen.


Erstes Zentrum der Schweiz

Komplexe Krebs-Fälle mit Knochenschädigungen werden inzwischen interdisziplinär mit Sichtung aller Bilder besprochen. Dazu braucht es ein Fach- Team der Onkologie, Radioonkologie, interventionelle und diagnostische Radiologie, Nuklearmedizin sowie Orthopädie, respektive der Unfallchirurgie. Zu diesem Zweck haben das Kantonsspital Graubünden (KSGR) und das Istituto Oncologico della Svizzera Italiana (IOSI) im Sommer 2021 das erste Osteoonkologische Zentrum der Schweiz gegründet. Hier werden regelmässig solche Fälle diskutiert, beurteilt und Therapie-Empfehlungen abgegeben.


Krebs, der in den Knochen entsteht

Von den Knochenmetastasen zu unterscheiden sind die primären Knochentumore, die sogenannten Osteosarkome. Deren Ursprung ist der Knochen und sie verbreiten sich von dort aus. Daneben gibt es auch hämatologische Tumore, die schwere Knochendestruktionen verursachen. Zu diesen gehört das Multiple Myelom. Pro Jahr erkranken in der Schweiz rund 670 Menschen am Multiplen Myelom. Die meisten sind über 70 Jahre alt. Bei einem Multiplen Myelom vermehren sich die Plasmazellen unkontrolliert. Die veränderten Plasmazellen bilden Zellklumpen im Knochenmark. So verhindern sie die Bildung gesunder Blutzellen und zerstören den Knochen. Umgangssprachlich wird das Multiple Myelom auch «Knochenmarkkrebs » genannt. Es handelt sich aber wissenschaftlich gesehen um einen Blutkrebs. In der Folge kommt es zu Blutarmut. Diese zeigt sich durch Blässe, Abgeschlagenheit und Schwäche. Schmerzen in den Knochen sind weitere Folgen. Bei Fortschreiten der Krankheit kommt es dann häufig zu Brüchen. Das Immunsystem wird ebenfalls geschwächt. Die Diagnose eines Multiplen Myeloms wird mittels bestimmten Eiweissen im Blut und Urin gestellt. Eine Probenentnahme des Knochenmarks kann den Befund bestätigen. Befindet sich der Krebs noch im Anfangsstadium, das heisst in Vorstufen, reichen regelmässige Kontrollen. Später helfen Chemo- und Immun-Therapien oder Medikamente. Um die Krankheit zu behandeln, kommen auch Stammzelltransplantationen zum Zug.


Danica Gröhlich ist Redaktorin bei «GESUNDHEITHEUTE», der Gesundheitssendung am Samstagabend auf SRF 1.
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