«Pumpen berechnen die richtige Menge Insulin»

Interview Jeanne Fürst und Danica Gröhlich, 10. März 2022

(Symbolbild: Pixabay)

Mit Diabetes Typ 1 ist sogar Spitzensport möglich. Wie bei einer Erkrankung smarte Instrumente helfen, sagt der Luzerner Diabetologe Christoph Henzen.

Herr Henzen, was unterscheidet Diabetes Typ 1 vom Typ 2?
Diabetes Typ 1 ist eine Autoimmunerkrankung, bei der das Immunsystem fälschlicherweise die eigenen Insulin produzierenden Zellen der Bauchspeicheldrüse angreift. So haben Betroffene kein eigenes Insulin mehr. Beim Typ 2 dagegen wird genug oder sogar deutlich mehr Insulin produziert, es entwickelt sich aber durch den sesshaften Lebensstil und die Gewichtszunahme vor allem am Bauch eine Insulinresistenz. Das Hormon Insulin ist lebensnotwendig. So besitzt jede Zelle Fühler für Insulin, damit sie Traubenzucker aufnehmen und funktionieren kann. Eine einzelne Leberzelle beispielsweise hat 200 000 Rezeptoren. Meist wird Diabetes Typ 1 im Kindes- und Jugendalter festgestellt, wenn das Immunsystem heranreift. Gerade bei Säuglingen nimmt die Häufigkeit zu. Warum das so ist, wissen wir nicht genau, äussere Einflüsse wie Kuhmilch könnten ein Auslöser sein. In der Schweiz kommen auf 100 000 Menschen jährlich 13 neue Erkrankungen von Diabetes Typ 1 hinzu.

Woran lässt sich Diabetes Typ 1 erkennen?
Wir sehen drei Symptomstufen. Zunächst steigt der Zucker im Blut massiv an und entzieht dem Körper Flüssigkeit. Häufiges, auch nächtliches Wasserlösen führt bei den Betroffenen zu ständigem Durst und Gewichtsverlust. Dann wird der Körper zunehmend mit Fettsäuren überschwemmt und übersäuert, was in Kombination mit der Austrocknung zu Verwirrtheit und bis hin zur Bewusstlosigkeit führen kann. Zudem sinkt die Abwehr durch Schleimhäute und die natürliche Barriere der Haut, sodass typischerweise Pilzinfekte auftreten, etwa unter den Achseln, in den Leisten oder im Intimbereich. Mit einem Blutstropfen vom Finger kann der Diabetes diagnostiziert werden.

Christoph Henzen ist Departementsleiter Medizin sowie Chefarzt Innere Medizin und Endokrinologie/Diabetologie am Luzerner Kantonsspital.

Können Betroffene ein normales Leben führen?
Auf jeden Fall. Wichtig ist, dass man dem Diabetes Raum gibt. Auch Spitzensport ist möglich. Wie die Noten eines Musikstückes wird dazu in der Ernährungstherapie die Anzahl Kohlenhydrate einer Mahlzeit gelernt. Esse ich einen Teller Spaghetti, muss ich wissen, wie viel Insulin ich für die darin enthaltenen Kohlenhydrate spritzen muss. Einige Insulinpumpen berechnen das selbst und schütten die richtige Menge aus.

Welche Entwicklung gibt es noch?
Smarte Uhren schicken ein SMS an die Eltern, wenn der Zuckerwert des Kindes kritisch wird, und teilen die Daten mit dem Diabetologen. Zudem wird daran geforscht, Insulinzellen vor Antikörpern geschützt im Körper zu deponieren. Ein Team der ETH Zürich programmiert Bauchfett- zu Insulinzellen um. Einfach faszinierend!

 

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