Interview Jeanne Fürst und Danica Gröhlich, 24. Februar 2022
Jeder hat das Recht auf eine ärztliche Zweitmeinung. Wo diese am besten eingeholt wird, sagt Susanne Gedamke, Geschäftsführerin der Patientenorganisation SPO.
Frau Gedamke, wann ist eine Zweitmeinung sinnvoll?
Besonders vor schwerwiegenden Eingriffen oder komplexen Behandlungen. Auch wenn eine unklare Diagnose besteht und die Patientin oder der Patient sich unsicher fühlt. Bei grossen operativen Eingriffen, wie beispielsweise vor einer Rückenoperation, kommt das häufig vor. Ebenso bei Krebsbehandlungen, etwa Strahlentherapien. Je schwerwiegender die Behandlung, desto wichtiger ist, dass sich Betroffene sicher sind, weshalb sie diese machen. Die Patientin oder der Patient sollte die Risiken, aber auch ein mögliches Scheitern der Therapie kennen.
Haben Patienten Hemmungen, ihre Zweifel zu äussern?
Ja, das sehen wir oft. Sich eine Zweitmeinung einzuholen, wird häufig als Misstrauensvotum erachtet. Dies ist sicherlich auch eine kulturelle Frage, bei der es um die soziale Stellung einer ärztlichen Fachperson geht.
Wie kann ich trotzdem sagen, dass ich mir eine Zweitmeinung einholen werde?
Wichtig ist, offen zu sein. Eine gute Ärztin oder ein guter Arzt wird die Entscheidung verstehen. Besonders, wenn eine Behandlung weitreichende Folgen hat. Und: Sie sind nicht dazu verpflichtet, der Ärztin oder dem Arzt ein gutes Gefühl zu geben! In anderen Dienstleistungsverhältnissen würde man gar nicht auf diese Idee kommen. Der Arzt sollte sich nicht in seiner persönlichen Eitelkeit gekränkt fühlen, sondern Ihre Bedenken ernst nehmen. Fragen Sie nach, und lassen Sie sich nicht einschüchtern. Ansonsten ziehen Sie die Konsequenz und wechseln die Praxis.
Bei wem soll ich mir eine Zweitmeinung einholen, und wer trägt die Kosten?
Fragen Sie am besten direkt bei Ihrer Krankenkasse an. Die Versicherer führen Listen mit empfohlenen Fachärztinnen und -ärzten. Die medizinische Zweitmeinung ist zwar keine eigene Kassenleistung. Wenn sie aber sachlich gerechtfertigt ist, werden die Kosten übernommen. In der Regel unterstützen Versicherungen dies, weil sie so Kosten sparen könnten, wenn doch keine Operation notwendig wird.
Und wer meldet sich bei Ihrer Patientenorganisation?
Sind Sie unsicher bezüglich einer bevorstehenden Behandlung, können Sie sich an uns wenden. Wir verweisen Sie dann gegen eine Gebühr an die entsprechende Stelle, oder unsere Fachpersonen prüfen auf Wunsch Ihr Dossier, jedoch ohne weitere Untersuchung. Da wir eine gemeinnützige und unabhängige Organisation sind, geniessen wir Vertrauen. Aus Kostengründen wird nach wie vor oft zu schnell operiert. Häufig gäbe es Alternativen.