Interview Jeanne Fürst und Danica Gröhlich, 3. Februar 2022
Bei einem Herzinfarkt zählt jede Minute. Was im Notfall zu tun ist und warum bei Frauen die Gefahr oft nicht sofort erkannt wird, sagt Laurent Haegeli, Professor für Kardiologie.
Herr Haegeli, wer ist besonders gefährdet für einen Herzinfarkt?
Pro Jahr erleiden in der Schweiz bis zu 10 000 Männer und 5000 Frauen einen grösseren Herzinfarkt. Mit den kleinen Herzinfarkten sind es sogar 30 000 Menschen. Unbehandelt führt meist hohes Cholesterin oder ein zu hoher Blutdruck zu Gefässverkalkungen, der Arteriosklerose – bis zum Verschluss eines Herzkranzgefässes. Auch hohe Blutzuckerwerte sind ein Risiko. Sehr schädlich für die Gefässe ist das Rauchen. Ebenso ist eine erbliche Vorbelastung durch die Eltern oder Geschwister möglich. Generell gilt: Nach einem Infarkt sind die Überlebenschancen grösser und bleibende Herzschäden kleiner, je schneller die Notfallbehandlung einsetzt.
Wie erkenne ich einen Herzinfarkt?
Typisch sind ein Druckgefühl, ein Brennen oder anhaltende Schmerzen in der Brust, welche bis in den linken Arm und in die Schulter ausstrahlen. Sie führen zu Angstschweiss und Übelkeit. Die Vorboten für einen Herzinfarkt treten dagegen weniger lang und nur bei Anstrengung auf und verschwinden dann wieder. Frauen haben jedoch häufig andere Symptome: Sie verspüren eher einen Druck, Oberbauchschmerzen oder Übelkeit, auch Kaltschweissigkeit sowie Atemnot.
Was ist im Notfall zu tun?
Holen Sie über die Notrufnummer 144 sofort Hilfe. Um bei einem Herzstillstand ein Herz wieder zum Schlagen zu bringen, hilft ein Defibrillator, der automatisch einen Stromstoss abgibt. Lassen Sie sofort einen Defibrillator aus der Nähe holen, und fangen Sie noch vor Eintreffen der Ambulanz beherzt mit der Herzdruckmassage an: 100 bis 120 Stösse pro Minute, also mehr als einmal pro Sekunde. Haben Sie keine Angst. Selbst professionelle Lebensretter brechen Rippen. Wichtig ist, überhaupt etwas zu machen.
Gibt es Fortschritte in der Behandlung?öWir setzen an der Engstelle Stents ein, damit das Blut wieder hindurchfliessen kann. Diese Metallgitter sind inzwischen feiner und beweglicher geworden und passen sich besser an die verschiedenen Anatomien an. Neu können wir auch temporär eine kleine Pumpe über die Leiste in die Herzkammer einführen, damit sie dort wie eine Turbine das Blut ansaugt, um den Kreislauf zu unterstützen.
Wie lassen sich Folgeinfarkte vermeiden?
Nach einem Herzinfarkt verhindern Medikamente ein erneutes Verkleben der Blutplättchen und senken die Blutfette, damit der Stent offen bleibt. Denn ein Herzinfarkt ist nur die Spitze des Eisberges. Deshalb ist vorbeugend ein gesunder Lebenswandel mit Bewegung und mediterraner Ernährung wichtig. Dabei ist sogar ein Gläschen Rotwein pro Tag erlaubt.