«Männer haben nicht weniger Gefühle»

Interview Jeanne Fürst und Danica Gröhlich, 27. Januar 2022

(Symbolbild: iStock)

Das vermeintlich starke Geschlecht schlägt sich mit Stereotypen herum. Was die Männer bewegt, sagt der Fachmann für Geschlechterfragen Markus Theunert.

Herr Theunert, wie hat sich das Männerbild über die Jahre verändert?
Es hat sich erweitert. Das Problem ist: Die alten Anforderungen an Männlichkeit wie Stärke, Souveränität und Leistungsbereitschaft gelten nach wie vor. Zusätzlich kommen aber neue Anforderungen hinzu: Männer sollen auch sozial und emotional kompetent und in der Familie engagiert sein und sich in der Beziehung sensibel zeigen. Dass diese Anforderungen gar nicht zusammenpassen, wird selten thematisiert. Die meisten Männer geben ihr Bestes. Und machen sich Vorwürfe, wenn sie an den hohen oder zu hohen Anforderungen scheitern.

Wann ist ein Mann ein Mann?
Dieser Frage ging Herbert Grönemeyer in seinem Song «Männer» von 1984 nach. Beantworten lässt sich die Frage bis heute nicht. Zum Glück! Das Ziel eines gesunden, selbstbestimmten Lebens besteht ja nicht darin, irgendwelchen Normen und Erwartungen zu entsprechen. Sondern es zu wagen, seiner eigenen Spur zu folgen – und sich um die Frage zu foutieren, ob das jetzt «männlich» ist oder nicht. Aber dieses Ideal bleibt natürlich unerreichbar, solange es für Männer existenziell wichtig bleibt, als «richtiger Mann» zu gelten.

Markus Theunert ist Fachmann für Männer- und Geschlechterfragen sowie Gesamtleiter von männer.ch

Darf ein Mann nach wie vor keine Gefühle zeigen?
Wichtig ist, festzuhalten, dass Männer nicht weniger Gefühle haben. Sie haben nur einen weniger geübten Zugang zu ihren Gefühlen. Das hängt direkt mit der «männlichen Sozialisation » zusammen. So lernen Jungs, dass es riskant ist, Gefühle der Schwäche zu zeigen. Diese gelten als «unmännlich». Das ist natürlich Unsinn, denn alle Emotionen sind einfach menschlich und damit auch männlich. Gesellschaftlich wird Männern aber nur ein kleines Spektrum an Gefühlen zugestanden, insbesondere Wut und Aggression.

Welchen weiteren Vorurteilen begegnen Männer heute?
Geschlechterstereotype halten sich hartnäckig: beispielsweise, dass Männer nicht über Gefühle sprechen können oder immer Lust auf Sex haben. Da hat sich, trotz allen gleichstellungspolitischen Fortschritten, wenig geändert.

Mit welchen Anliegen kommen Männer zu Ihnen?
Bei den Männern, die sich an uns wenden, ist das Thema Nummer eins «Trennung und Scheidung». In den Männerbüros vor Ort ist die Themenvielfalt grösser. Hier geht es um Beziehungs- und Erziehungsfragen, Sexualität, Gesundheit und Probleme der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Aber auch Sinnfragen sind Themen, die viele Männer beschäftigen und worüber sie mit jemandem sprechen möchten.

 

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