«Glück ist Kung Fu»

Von Danica Gröhlich, 12. Januar 2022

Fällt einem nicht einfach zu: Anhaltendes Glück ist harte Arbeit. (iStock)

Sie lehrt uns das Glück: Trainerin Lucia Miggiano verrät ihre erste Lektion im Schulfach Glück und erklärt, wann sie zum Lachen aufs WC geht.

Frau Miggiano, wenn geteiltes Glück doppeltes Glück ist, dann müssten Sie der glücklichste Mensch der Welt sein…
Ich bin ein glücklicher Mensch. Das reicht mir. Ob jemand noch glücklicher ist, ist für mich nicht relevant. Ich halte mich, was das Glück angeht, eh schon für sehr privilegiert. Ich gönne es der anderen Person, wenn sie noch glücklicher ist als ich, was ja wiederum auch etwas mit mir macht. Und entschuldigen Sie, dass ich Ihre Mail-Anfrage gelöscht hatte. Ich habe mich so über die Spam-Welle an Mails geärgert. Zum Glück waren Sie so hartnäckig und haben nachgefragt. Was ja auch mein Glück ist, Ihnen nun ein Telefon-Interview über das schönste Schulfach der Welt geben zu können. You made my day! (lacht)

Was bedeutet denn für Sie persönlich Glück?
In erster Linie bedeutet Glück für mich Gesundheit. Auch, dass ich mit Freunden und Familie Zeit verbringen kann. Und ganz grosses Glück ist, dass ich die Möglichkeit habe, weiterhin zu arbeiten.

War es einfach Glück oder wie kamen Sie zum Beruf Glückstrainerin?
Tatsächlich hatte ich das Glück, mich mit 48 Jahren nochmals als Sekundarlehrperson ausbilden zu dürfen. Doch im Lehrplan 21 war immer wieder von überfachlichen Kompetenzen die Rede. Die Schüler sollten lernen, über ihre Stärken zu reflektieren. Wenn das also mein Lehrauftrag ist, musste ich auch ein passendes Werkzeug dafür finden. Und so entdeckte ich die sogenannte Positive Psychologie. Nur fragte ich mich dann, wie ich das im Schulzimmer umsetzen könnte. Wie es im Leben halt so ist, war es ein Glücksfall, dass ich auf die Schule für Persönlichkeitsbildung im deutschen Heidelberg stiess. Zuerst irritierte mich das dort gelehrte Schulfach Glück sehr. Für mich ausschlaggebend aber war, dass diese Ausbildung auf wissenschaftlichen Grundlagen beruht. Der Unterricht zur Glückslehrperson war dann so grossartig, dass ich mit meiner Kollegin beschloss, diese Ausbildung in die Schweiz zu holen.

Lucia Miggiano, Glückstrainerin und Lehrerin im Schulfach Glück, Aesch BL (Anaïs Strübin)

Dann ist Glück auch lernbar?
Absolut! Anhand von Zwillingsstudien hat Sonja Lyubomirsky herausgefunden, dass 40 Prozent unseres Glücks beeinflussbar sind, 50 Prozent sind genetisch bedingt und für 10 Prozent sind aktuelle Lebensumstände verantwortlich. 40 Prozent sind doch eine ganze Menge, die wir mit unserer Haltung beeinflussen können. Glück ist Kung Fu, was auf Chinesisch «investierte harte Arbeit» bedeutet. Glück fällt einem nicht einfach zu. Den Massanzug muss man sich selbst schneidern und immer wieder anpassen. Mit 7 Jahren trug ich ein pinkes Tutu und ein Krönchen, was mich unglaublich glücklich machte, mir aber jetzt mit 58 Jahren natürlich nicht mehr passt. Wer bin ich, was brauche ich, was kann ich und wohin will ich? Diese Fragen muss man sich ständig stellen, um mit Arbeit sowie Mut dahinzukommen.

Und wie können wir trotz der Pandemie-Umstände glücklich werden?
Nehmen wir doch das berühmte Glas Wasser, bei dem es eigentlich keine Rolle spielt, ob wir es als halb voll oder halb leer ansehen. Stattdessen wäre es wichtiger, sich zu fragen: «Habe ich Durst? Was brauche ich?» Wenn ich neben dem Wasserhahn stehe, fülle ich das Glas ja auch auf. Resilient zu werden ist das ganz grosse Glück. Die Pandemie hat niemand vorausgesehen. Wir können aber lernen, mit der Situation umzugehen. Beziehungen sind in dieser Zeit sehr wichtig. Viele haben das sehr gut gemeistert, indem sie ihre Freunde etwa mit Videotelefonie virtuell getroffen haben. Natürlich ist das nicht das Gleiche. Dennoch tut auch diese Form des Austausches gut. Während des ersten Lockdowns haben wir in der Klasse mit dem Handy Glücksmomente im Alltag festgehalten und uns gegenseitig gratis als Postkarten geschickt. Dann haben die Jugendlichen die Bilder auch an ihre Grosseltern oder Göttis gesendet. Das war eine Möglichkeit, jemandem zu sagen, ich denke an dich und schau, was mich gerade berührt. Auch nachher hat diese Aktion uns nochmals Glückmomente beschert, als wir die Fotos nach dem Lockdown im Schulzimmer auslegten. Auch für mich eine Offenbarung. So habe ich erst durch die Fotos herausgefunden, dass eine Schülerin daheim mit vielen Tieren zusammenlebt. War sie vorher sehr verschlossen, so durfte ich nun eine ganz andere Seite von ihr kennenlernen. Wow, was für ein Glück!

Was ist jeweils Ihre erste Lektion Glück?
In der ersten Lektion geht es um die eigenen Stärken. Dazu beginnen wir mit verschiedenen Übungen. Wir stehen als Metapher im Wald der Fähigkeiten und fragen uns: Aus welchem Holz bin ich geschnitzt und welcher Baum der Stärke bin ich? Wir sammeln alles. So ist es keine Selbstverständlichkeit, sondern bereits eine Fähigkeit, ein richtig gutes Tiramisu zubereiten zu können. Auch gut zuhören zu können ist eine Stärke, die nicht alle haben. Selbst Kofferpacken ist eine Kunst! Einige Menschen können das meisterlich. Diese Übung gibt mir das Gefühl, dass ich jemand bin und etwas kann. Auch ein wichtiger Punkt ist, dass ich lerne, dazu zu stehen. In der Schweiz sind wir meist zu bescheiden. In Amerika dagegen haben die Menschen weniger Probleme zu sagen: «Yes we can!» Deshalb sprechen wir unsere Fähigkeiten auch innerhalb der Gruppe aus. Das stärkt mich als Mensch und als Teil der Gesellschaft.

Hat auch eine Glückslehrerin mal einen schlechten Tag?
Auf jeden Fall! Wenn ich beispielsweise wütend bin, stelle ich mich vor einen Spiegel und lächle mich 60 Sekunden an. Das fühlt sich im ersten Moment sehr seltsam und extrem lang an, hilft aber ungemein. Denn das Lächeln drückt auf bestimmte Nerven und sagt dem Hirn, hier unten ist jemand glücklich. Dabei werden auch Glückshormone ausgeschüttet. Es kommt zu einer Wechselwirkung: Der Mensch mit der Grimmasse wird allmählich zu einer fröhlichen Person, die einem im WC anlacht. Das beeinflusst auch mein Gefühl. Ich kann dann erst wahrnehmen, wieso ich vorher so wütend war. Und ich nehme mir täglich bewusst Zeit für mich und meinen Kaffee. Ich suche mir eine Tasse aus, rieche das Röstaroma und trinke den Kaffee dann mit Genuss. Man kommt zur Ruhe, wird achtsam und sagt sich damit, ich schaue zu mir. Wir fokussieren auf das, was ist. Es sollte ein Ritual sein, sich täglich Sanduhren von 5 Minuten zu schenken und eine Glücksauszeit zu nehmen. Natürlich muss es nicht unbedingt Kaffee sein, ich bin aber ein grosser Kaffee-Fan. (lacht)


Alltags-Rituale der Glückstrainerin:

  • Gerüche beeinflussen unmittelbar die Stimmung. So vermitteln ätherische Öle, besonders von Zitrusfrüchten, ein Gefühl von Wohlergehen.
  • Stellen Sie sich eine Playlist mit Liedern auf dem Handy zusammen, die Sie glücklich machen. Wenn es Ihnen nicht gut geht, können Sie diese anhören und dazu tanzen, um den Stress abzuschütteln.
  • Auch, wenn das Wetter richtig hässlich ist, sollten Sie sich gut anziehen und einen Spaziergang machen. Sauerstoff und Licht erhöhen das Wohlbefinden.
  • In der dunklen Jahreszeit gibt bereits morgens Kerzenlicht ein Gefühl von Leben, Geborgenheit und Wärme.
  • Sammeln Sie Glücksmomente in einem Büchlein neben dem Bett. Schreiben Sie dafür drei Momente auf, die Sie an diesem Tag glücklich gemacht oder zum Lachen gebracht haben. Das kann auch das Büsi vom Nachbarn sein, das mich anmiaut. Dieses Ritual verändert nach einem Monat nachweislich die Psyche, indem wir uns auf solche Momente fokussieren. Nach 30 Tagen haben Sie einen wunderbaren Rückblick und 90 schöne Glücksmomente.

Weitere Informationen zum Schulfach Glück auf der Webseite von Lucia Miggiano: www.remaking.ch


Danica Gröhlich ist Redaktorin bei «GESUNDHEITHEUTE», der Gesundheitssendung am Samstagabend auf SRF 1.
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