«Der Glaube ans Leben stärkt uns»

Interview Jeanne Fürst und Danica Gröhlich, 23. Dezember 2021

(Symbolbild: iStock)

Patienten im Spital brauchen in schwierigen Situationen viel Kraft. Worüber sie lieber mit einem Seelsorger als mit Ärzten sprechen, sagt der reformierte Pfarrer Jürg Merz.

Herr Merz, was ist den Menschen im Spital wichtig?
Zu Beginn steht für Erkrankte eine gute medizinische Betreuung an erster Stelle sowie nettes Pflegepersonal. Doch wenn die Therapie angelaufen ist, tauchen andere Fragen auf. Beispielsweise muss sich jemand mit einer schweren Krebserkrankung mit der eigenen Endlichkeit auseinandersetzen. Dann geht es ums Sterben und um Glaubensfragen: Was kommt nachher? Solche Themen werden statt mit den Ärztinnen, Ärzten und Angehörigen lieber mit uns Seelsorgern besprochen. Wir nehmen uns dazu Zeit. Selbst Menschen, die aus der Kirche ausgetreten sind, möchten mit uns sprechen. Mit dem Lebensende vor Augen treten Fragen auf, die vorher nicht wichtig waren.

Genügt es, einfach zuzuhören?
Wichtig ist aktives Zuhören. Ich muss präsent sein und die Person spüren, ihre Themen aufnehmen. Einige Menschen begleite ich über Monate hinweg, etwa über Zeiten von Chemotherapien oder Operationen. Oft wünschen sich Erkrankte Rituale, beispielsweise eine Krankensalbung. Dazu salbe ich mit einem geweihten Öl die Stirn sowie die Hände der erkrankten Person und spreche unterstützende Worte oder Gebete.

Jürg Merz ist reformierter Pfarrer und begleitete Menschen in der Merian-Iselin-Klinik Basel und bis letzten Oktober im Unispital Basel.

An welche Begleitungen erinnern Sie sich stark?
Viele Begegnungen bewegen mich. Besonders, wenn Kinder schwerstbehindert zur Welt kommen und sterben werden. Dann werde ich gerufen, um nachts noch eine Taufe durchzuführen. Viele Eltern möchten das, selbst wenn sie gebrochen sind. Es gibt keine Antwort auf das «Warum?». Diese Frage konnte ich auch einem Mann nicht beantworten, dessen Frau ausgerechnet dann vom Velo stürzte, als sie ausnahmsweise keinen Helm trug. Zum Glück gibt es aber immer wieder schöne Wendungen. Etwa, wenn die Medizin doch einen Weg findet, jemanden ins Leben zurückzuführen.

Gibt es Schutzengel?
Schutzengeln begegne ich immer wieder. Statistisch gesehen ist der Glaube an Schutzengel sogar grösser als derjenige an Gott. Menschen berichten mir oft von Schutzengeln, die ihnen beistanden. Auch ich fühlte mich bei einem Sturz in den Bergen aufgefangen.

Was gibt einem in schwierigen Momenten Halt?
Wichtig ist, sich getragen zu fühlen. Vor allem in den Beziehungen zu anderen Menschen. Auch der Glaube ans Leben und an Gott stärkt uns in schwierigen Situationen. Zuversicht ins Leben hilft auch denjenigen, die nicht gläubig sind. Wir sollten darauf vertrauen, dass wir an diese innere Kraft kommen. Stichwort: Resilienz. Ebenso hilft in schwierigen Zeiten die Hoffnung, dass am Ende alles gut wird.

 

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