«Das Bedürfnis nach Zärtlichkeit bleibt»

Interview Jeanne Fürst und Danica Gröhlich, 9. Dezember 2021

(Symbolbild: Pixabay)

Der Wunsch nach Zweisamkeit besteht bis ins hohe Alter. Wie Menschen mit viel Lebenserfahrung eine neue Liebe finden, sagt die Psychologin Pasqualina Perrig-Chiello.

Frau Perrig-Chiello, suchen viele Menschen im Alter eine neue Liebe?
Ja, denn wir werden erwiesenermassen immer älter, und dies meist bei guter Gesundheit. Zudem findet ein Generationenwandel statt. Die Babyboomer, also die Jahrgänge zwischen 1946 und 1964, haben ein offeneres Verhältnis zur Liebe und Partnerschaft als die Generationen vor ihnen. Sie möchten die eigene Biografie flexibler gestalten. Zudem lösen sich traditionelle Rollenbilder auf, es kommt zu mehr späten Scheidungen. Das soziale Netz wird im Alter kleiner, viele fühlen sich – auch aufgrund der Pandemie – einsam. Umso dankbarer sind sie, wenn sie ein «Gspänli» finden.

Wo lernen sich ältere Menschen kennen?
Viele über digitale Plattformen. Aber auch bei Vereinstätigkeiten, auf Reisen oder bei Wanderausflügen, wie sie etwa die Pro Senectute anbietet. Als Präsidentin der Seniorenuniversität Bern weiss ich, dass bei unseren Veranstaltungen ebenfalls schon Liebesbeziehungen geknüpft wurden. Eines Tages lag eine Rose auf dem Pult, an dem immer eine bestimmte Dame neben einem Senior sass.

Pasqualina Perrig-Chiello ist emeritierte Professorin für Entwicklungspsychologie, Universität Bern.

Wird es schwieriger, sich im Alter auf etwas Neues einzulassen?
Wir werden wählerischer. Mit mehr Lebenserfahrung weissman, was man will – und was nicht. Viele ältere Semester sind nicht mehr bereit, Kompromisse einzugehen. Männer sucheneine klassische Partnerschaft mit gemeinsamem Haushalt. Ältere Frauen, geschieden oder verwitwet, suchen einen Partner fürs Reisen und Schön-essen-Gehen, der aber nicht unter demselben Dach lebt. Denn oftmals haben sie schon ihren Mann gepflegt oder waren jahrelang für die Hausarbeit zuständig. Deshalb wollen viele Frauen diese Freiheit bewusst geniessen und ihr Leben neu gestalten.

Was sind weitere Themen einer reiferen Partnerschaft?
Wichtig ist die Akzeptanz der Familien. Nach einer Verwitwung möchten die Kinder das Bild ihres Vaters oder ihrer Mutter respektiert wissen. Zudem wird die Gesundheit des Paares zum Thema. Erkrankt einer von beiden, stösst der andere oft an seine Grenzen. Auch grössere Altersunterschiede können belasten, wenn die Hilfs- und Pflegebedürftigkeit einsetzt.

Welchen Stellenwert hat die Sexualität im Alter?
Auch wenn das nach wie vor ein Tabu ist: Für die meisten Frauen und Männer spielt die Sexualität im Alter weiterhin eine wichtige Rolle. Sie stellt eine biografische Konstante dar. Je nach Gesundheit kann die Sexualität aber auch neu und breiter definiert werden. Auch wenn viele damit hadern, ihren alternden Körper zu akzeptieren: Das Bedürfnis nach Zärtlichkeit und körperlicher Berührung begleitet uns ein Leben lang.

 

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