O du fröhliche! Damit es nicht zum Krach an den Festtagen kommt

Von Danica Gröhlich, 1. Dezember 2021

Stressfreie Weihnachten: Ob für sich, mit der Familie oder Freunden. (iStock)

Friede, Freude, Feierkuchen: Steigen die Erwartungen, ist der Streit meist vorprogrammiert. Eine Familien-Therapeutin weiss Rat.

Frau Kramer, täusche ich mich oder kommen wir Jahr für Jahr früher in den Weihnachtsstress?
Tatsächlich wird besonders in diesem Jahr und bereits lange vor den Feiertagen eine Spannung aufgebaut, etwa mit Weihnachtsmärkten und Adventskalendern. Dadurch wird eine enorme Erwartungshaltung bis zum bestimmten Tag hin erzeugt, an dem sich alles erfüllen muss. Hinzu kommt der Zeitstress bei der Arbeit: An den Feiertagen ist niemand erreichbar. Wir müssen vorher noch alles erledigen und uns die Ferien verdienen. Wenn der Weihnachtsabend da ist, lässt die Anspannung plötzlich nach.

Und der Druck entlädt sich dann?
Ja, es kann passieren, dass sich dann der ganze angestaute Stress entlädt. Auf die psychischen und biologischen Ursachen, dass wir in der dunklen Jahreszeit weniger Energie haben, folgen gesellschaftliche Erwartungen. Trotz Feiertage sind wir immer noch in unserem Alltag. Viele Alltagsthemen poppen auf. So ist beispielsweise auch die Nutzung von elektronischen Geräten ein Dauerbrenner zwischen Eltern und Kindern. Ebenso können Schulleistungen, unerledigte Ämtli, wie das Zimmer aufzuräumen, zu Streit führen. Oder die Rivalität unter Geschwistern, die bis ins Erwachsenenalter anhält. Wird dann die Langeweile mit Medien überbrückt, ist Krach vorprogrammiert. Auch auf Paar-Ebene kann es donnern, weil sonst meist keine Zeit bleibt, Themen zu diskutieren wie Aufgabenteilung oder Kindererziehung. Unausgesprochene Gefühle kommen hoch. Schliesslich kommen mehrere Generationen zusammen, die sich sonst unter dem Jahr kaum sehen. Generationenübergreifende Themen wie Verletzungen aus der Kindheit und Rollenmuster können zudem schwierig sein. Konflikte haben aber ein grosses Potential: Ein fair ausgetragener Streit kann wie ein Gewitter sehr reinigend wirken. Wir sollten lernen, Spannungen auch auszuhalten. Denn zum Leben gehören Konflikte dazu. Grundsätzlich gilt: Je mehr Zeit und Energie wir in die Vorbereitung der Feiertage stecken, desto höher werden die Erwartungen und desto leichter können diese enttäuscht werden.

Andrea Kramer, Psychotherapeutin und Dozentin, IAP Institut für Angewandte Psychologie, ZHAW Zürich (zVg.)

Können wir diese Erwartungen im Vorfeld dämpfen?
Wichtig ist, bereits vorher mit allen Beteiligten zu sprechen und einen Konsens zu finden. Was erwartest du? Was ist dir wichtig? Auch Rituale darf man hinterfragen und sie gegebenenfalls anpassen. Durch die Corona-Pandemie haben viele bereits im letzten Jahr Neues ausprobiert, waren im Wald feiern oder haben in kleinen Kreisen angestossen. Diesen Schwung, sich Corona-konform zu treffen, könnten wir für dieses Jahr mitnehmen und Raum lassen für neue Festformen.

Welche Themen sollten trotzdem vermieden werden?
Schwierig wird es bei politischen und gesellschaftlichen Debatten, bei denen es nur darum geht, recht zu haben und andere zu überzeugen. Es hilft, bereits vorher festzulegen, dass über kontroverse Themen nicht diskutiert wird, weil kein Verständnis füreinander möglich ist. Es ist gut, das klar zu benennen, weil man sonst versucht, das Thema zu vermeiden und dabei «einen Elefanten im Raum» hat.

In diesem Jahr kommt mit der Covid-Impfung allerdings ein weiteres heikles Thema hinzu.
Ja, am Corona-Thema kommen wir nicht vorbei. Hier sollten wir uns mit Offenheit begegnen. Es geht nicht darum, jemanden zu bekehren, sondern vielmehr mit Neugier Fragen zu stellen. Wieso denkst du so? Um dann in ein Verstehen reinzugehen – von beiden Seiten. Corona-Fragen tauchen aber bereits beim Organisieren auf. Feiern wir draussen? Tragen wir drinnen Masken? Singen wir oder singen wir nicht?

Wie gelingt in der Corona-Zeit die Trennung von Homeoffice und Familien-Fest?
Die Abgrenzung von Arbeit und Freizeit ist in der Pandemie schwieriger geworden. Deklarieren Sie deshalb bereits vorher, wenn Sie selbst an Weihnachten einen Anruf entgegennehmen müssen oder ein Mail nicht unbeantwortet bleiben darf. Meist sind es sogar die Erwachsenen, die zuerst das Mobiltelefon zücken. Dann helfen keine Vorwürfe, sondern eine Bemerkung wie: «Jetzt haben wir alle das Handy in der Hand. Ist euch das aufgefallen?»

Sind wir uns so viel Nähe überhaupt noch gewohnt?
Wir sind grundsätzlich soziale Wesen, was wir im Lockdown bitter zu spüren bekamen. Nähe tut uns gut. Unser Sicherheitsbedürfnis und der Wunsch nach Nähe führen aber dazu, dass wir hin- und hergerissen sind. Es müssen jedoch nicht alle sieben Stunden lang das Gleiche machen. Einige Gäste könnten spazieren gehen und auch Rückzugsmöglichkeiten sollten vorhanden sein. Etwa ein Zimmer, in dem sich jemand ausruhen kann, oder die Kinder spielen können.

Und wie klappt das Feiern in Patchwork-Familien?
Patchwork-Familien können nicht früh genug mit der Planung beginnen und über verschiedene Erwartungen sprechen. Es geht nicht darum, alle Traditionen unter einen Hut zu bringen, sondern Neues zu schaffen. Auch die Geschenke für die Kinder sollten gesteuert werden, um ein Werten zu verhindern wie: «Dort war es schöner und ich habe das grössere Geschenk bekommen! » Alle Traditionen haben ihre Berechtigung. Ob ein vegetarisches Büffet oder ein Fondue Chinoise. Es ist so wie es ist.

Wer keine Familie mehr hat, fühlt sich in diesen Tagen sicher einsam.
Wichtig ist, in sich hineinzuhören. Was tut mir gut? Dann kann jemand auch bewusst alleine feiern oder verreisen. Suchen Sie sich Gleichgesinnte oder treffen Sie Freundinnen und Freunde. Wenn man es aushält, könnte man sich auch von befreundeten Familien einladen lassen und proaktiv fragen, ob man mitfeiern darf. Es gibt aber auch die Möglichkeit, sich sozial zu engagieren, beispielsweise im Altersheim, wo diese Tage ja auch immer sehr besonders sind.

Die ersten Weihnachten ohne einen geliebten Menschen: Wie geht man damit um?
Der Verlust wird einem speziell an diesen Tagen schmerzhaft bewusst. Überlegen Sie sich, wie dieser Mensch trotzdem anwesend sein kann. Vielleicht zünden Sie als neues Ritual eine Kerze an. War die verstorbene Person zuständig fürs gemeinsame Musizieren, könnte man dies von nun an weglassen oder eine andere Person nimmt den Platz ein. Lassen Sie Trauer und Tränen zu. Bei Beerdigungen wird nachher ja auch zusammen gegessen, getrunken, Erinnerungen geteilt und sogar gelacht. Wenn die Trauer aber keine Feier mehr zulässt, dann gibt es Notfallnummern wie die 143 der Dargebotenen Hand. Es ist legitim, von aussen jemanden dazuzuholen. Besonders in diesen Tagen und Nächten ist die telefonische Seelsorge für uns alle jederzeit erreichbar. Versuchen wir uns doch auf den Ursprung von Weihnachten zu besinnen: trotz Dunkelheit ein Freudenfest mit ganz viel Licht.

Danica Gröhlich ist Redaktorin bei «GESUNDHEITHEUTE», der Gesundheitssendung am Samstagabend auf SRF 1.
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