«Geben Sie einem Schreibaby Halt»

Interview Jeanne Fürst und Danica Gröhlich, 4. November 2021

Verzweifelte Eltern, gestresste Babys: Was das Weinen von Neugeborenen bedeutet und wie man sie beruhigt, sagt die Säuglingsexpertin Susanna Fischer.

Frau Fischer, warum schreien Babys?
Weinen ist die Ausdrucksform eines Säuglings. Wenn ein Baby weint, dann kommuniziert es und teilt mit, dass es sich unwohl, unsicher oder gestresst fühlt. Wir alle kennen das Weinen eines Babys aus Müdigkeit oder Hunger, aber ebenso oft weint es auch aus einer Überforderung durch all die neuen Eindrücke und Reize.

Ab wann spricht man von einem Schreibaby?
Wenn ein Baby länger als drei Stunden pro Tag an drei Tagen und seit drei Wochen weint. Für mich ist die elterliche, subjektive Belastbarkeit ausschlaggebend. Haben Eltern trotz des untröstlichen Weinens ihres Babys noch Ressourcen, und können sie auf die Signale noch feinfühlig reagieren?

Wie lernen Eltern, das Schreien zu verstehen?
Meistens reagieren Eltern auf die möglichen Bedürfnisse des Kindes sehr rasch. Dabei sehen sie, ob es sich zu beruhigen beginnt. Aus Missverständnissen entwickelt sich ein gegenseitiges Verständnis. Zudem ist es während des exzessiven Weinens relevanter, was das Kind gerade in dem Moment braucht, denn sehr oft ist die eigentliche Ursache nicht zu finden.

Susanna Fischer ist Sozialpädagogin und leitet in Zürich die Familienpraxis Stadelhofen.

Stossen Eltern öfter an ihre Grenzen?
Das hängt von ihrer psychischen Belastbarkeit ab. Das untröstliche, endlose Schreien eines Babys lässt aber niemanden kalt. Eltern brauchen deshalb Pausen. Sonst schaffen sie es nicht, sich abzugrenzen, was zu einer Erschöpfung führen kann. Wenn ein Baby im Dauerstress ist, dann sind es früher oder später auch die Eltern.

Was raten Sie?
Das Paar müsste sich intensiv über die aktuelle Befindlichkeit austauschen, ohne sich übertrumpfen zu wollen, wer müder ist. Eltern sollen wissen, wer ihnen helfen kann, damit sie im Alltag auch Momente nur für sich haben. Idealerweise ausserhalb der Wohnung. Ohne das Thema Baby. Auch der Austausch mit anderen Eltern hilft. Es fühlt sich gut an, nicht alleine in einer solchen Situation zu sein. Zudem sollten Eltern so früh wie möglich ihr Baby in der Regulation unterstützen, also in der Fähigkeit, sich zu beruhigen. Säuglinge regulieren sich über den Mund mit Schnuller, Fäustchen und dem Daumen oder taktil über ein Kuscheltuch.

Wann ist Hilfe nötig?
Eltern sollten früh Fachberatung holen und nicht Tipps aus dem Internet durchprobieren. Oft reicht ein Gespräch von 60 Minuten. Meistens braucht das Baby Ruhe, Rhythmus und Regelmässigkeit, um Sicherheit zu finden. Eltern sollen während des Weinens ruhig bleiben, dem Kind mit Körperkontakt Halt geben und doch mit der Aufmerksamkeit bei sich bleiben. Auch bewusstes Atmen entspannt eine Stresssituation.

 

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