Nach einem Oberschenkelhalsbruch zählt jede Minute

Von Danica Gröhlich, 6. Oktober 2021

Lebensbedrohlicher Bruch: Eine Schenkelhalsfraktur erfordert rasches Handeln. (iStock)

Schnell ist es passiert: Auf dem nassen Laub ausgerutscht oder zu Hause nachts auf dem Weg zur Toilette gestürzt. Warum ein Oberschenkelhalsbruch für Betagte so gefährlich ist.

Herr Prof. Meier, wieso brechen sich meist ältere Menschen den Oberschenkel?
Tatsächlich sehen wir bei uns auf dem Notfall den klassischen Oberschenkelhalsbruch überwiegend bei älteren Menschen. Wesentlich seltener erleiden Jüngere einen Oberschenkelhalsbruch, wobei der Teil zwischen dem sogenannten Kopf beim Hüftgelenk und Schaft des Oberschenkelknochens bricht. Dann oft, weil sie mit dem Töff oder dem Velo stürzen. Ältere Menschen hingegen stürzen meist aus der Standhöhe. Das heisst, sie stolpern beim Gehen. Das passiert oftmals beim nächtlichen Gang zur Toilette, wenn das Licht nicht eingeschaltet wird. Sie können aber auch tagsüber über den Teppich oder die Katze stolpern. Frauen erleiden dabei etwa viermal häufiger eine Schenkelhalsfraktur als Männer. Vor allem Frauen über 65 Jahre.

Weshalb betrifft ein Oberschenkelhalsbruch eher Seniorinnen?
Das hat sicherlich damit zu tun, dass Frauen häufiger unter Osteoporose, also Knochenschwund, leiden. Die Wahrscheinlichkeit, ab dem 50. Lebensjahr als Folge von Osteoporose einen Knochenbruch zu erleiden, liegt in der Schweiz bei durchschnittlich 51 Prozent für Frauen und 20 Prozent für Männer. Denn das weibliche Sexualhormon Östrogen sinkt nach der Menopause ab. Die Knochen werden in der Folge poröser und brechen leichter. Auch ein Vitamin-D-Mangel könnte vorliegen. Wer zudem viel raucht oder trinkt, hat oftmals schlechtere Knochen, weil dies ebenfalls mit einer schlechteren Ernährung einhergeht.

Ist ein Oberschenkelhalsbruch immer ein Notfall?
Absolut. Ein Oberschenkelhalsbruch ist ein Notfall. Laut Studien steigt das Risiko für Komplikationen in Zusammenhang mit der Operation sowie das Risiko zu sterben mit der Zeit an, in der man den Bruch nicht behandelt. Genau deshalb ist es so wichtig, dass nach einem Unfall innerhalb von 24 Stunden operiert wird.

Prof. Dr. Christoph Meier, Chefarzt Traumatologie, Stv. Leiter Klinik für Orthopädie und Traumatologie, Kantonsspital Winterthur (zVg.)

Was sind die Anzeichen für einen solchen Bruch?
Einen Oberschenkelhalsbruch erkennen Sie eigentlich sofort. Wenn eine Person stürzt und nicht mehr alleine aufstehen kann, dann zögern Sie nicht und wählen den Notruf 144. Ein Bruch kann zwar auch sogenannt einstauchen, sodass Betroffene trotzdem noch gehen können, aber dann meist nur noch unter Schmerzen. Diese Bruchform kann sogar ohne Operation heilen, doch bei einem Abrutschen werden die Schmerzen nur noch schlimmer. Die Betroffenen werden immobil. Typische Anzeichen für einen Oberschenkelhalsbruch sind auch ein verkürzt wirkendes Bein, ein nach aussen gedrehtes Bein und eine leicht gebogene Hüfte.

Warum sterben auch Menschen daran?
Nach längerem Liegen können sich lebensgefährliche Thrombosen entwickeln. Das sind Blutgerinnsel, die ein Blutgefäss verstopfen können. Ein sogenannter Venen-Thrombus kann sich lösen und über die Blutbahn in die Lunge gelangen. Verstopft er dort ein Blutgefäss führt dies zu einer Lungenembolie, was ein lebensbedrohlicher Zustand sein kann. Durch das lange Liegen können auch Druckgeschwüre entstehen oder Harnwegsinfekte. Auch die Gefahr eines Delirs steigt, ein Zustand akuter Verwirrtheit. Deshalb führt ein Oberschenkelhalsbruch zu einer höheren Mortalitätsrate. Die Sterblichkeit ist nach einer solchen Verletzung hoch. Darum setzen wir alles daran, gerade ältere Menschen so schnell wie möglich zu behandeln, um sie wieder aus dem Bett zu bekommen.

Die Psyche muss für eine Genesung aber auch mitmachen.
Natürlich spielt auch die Psyche eine wichtige Rolle. Betagte geben nach einem Oberschenkelhalsbruch häufig auf. Es ist eine Verletzung, die meist im letzten Lebensabschnitt vorkommt. Dieser Bruch ist nicht selten ein Symptom einer schlechteren Gesundheit. Oftmals glauben die Verwandten zu merken: «Nach dem Bruch wurde alles schlimmer! » Allerdings war der Bruch vielleicht nur das Symptom einer schlechter werdenden Gesundheit und hat diese schlussendlich nur noch weiter beschleunigt. So lebt etwa ein Drittel der Betroffenen nach einem Jahr nicht mehr, obwohl sie oder er die Operation gut überstanden hat. Irgendwann ist dieser Punkt erreicht, wo der Mensch nicht mehr kann. Doch das ist meiner Erfahrung nach sehr unterschiedlich.

Muss immer operiert werden?
Nein, nicht immer. Wir operieren aber auch Menschen, die in einem nicht sehr guten Allgemeinzustand sind. Denn ansonsten können etwa Bettlägerige aufgrund ihrer starken Schmerzen nicht mehr umgebettet werden. Deshalb versuchen wir auch, den Bewohnerinnen oder Bewohnern eines Pflegeheims mit einer raschen Operation die Schmerzen zu nehmen. Dies dann im Sinne einer Palliation. Darunter verstehen wir eine Form der medizinischen Behandlung, die nicht eine Heilung als Ziel hat, sondern die Linderung der Beschwerden. Gründe, die gegen eine sofortige Operation sprechen, wären die Einnahme von Blutverdünnern oder eine gleichzeitige Schädel-Verletzung, die zuerst eine Behandlung benötigt. Auch gestauchte Brüche müssen nicht immer operiert werden. Wir schauen jeden Fall individuell an.

Wie sind die Erfolgsaussichten?
Die Prognosen sind recht gut. Nach der Operation können die meisten sofort wieder aufstehen. Sie müssen aber nochmals Gehen lernen. Etwa in einer Reha-Klinik oder sie erhalten im Pflegeheim eine Physio-Therapie. Ziel ist es, die vorbestehende Mobilität zu erhalten und Selbstständigkeit zu erlangen. Allerdings wird nicht immer das alte Niveau erreicht. Die frisch Operierten müssen auch mitmachen. Voraussetzung dafür ist die Motivation des einzelnen Menschen.

Was raten Sie, damit sich weniger lebensgefährliche Stürze ereignen?
Ich sage immer: «Wer rastet, der rostet! » Deshalb ist Bewegung bis ins hohe Alter so wichtig. Wer zudem unter Schwindel leidet, sollte diesen unbedingt behandeln lassen. Eine genügend hohe Zufuhr an Vitamin D und Kalzium wäre für die Knochen wichtig. Zudem sollten Sie in der Wohnung oder Ihrem Haus möglichst wenig Stolper- und Sturzfallen haben. Bereits eine rutschfeste Matte in der Badewanne hilft. Nützlich ist ebenfalls eine Uhr mit Notfallknopf, die man immer trägt und mit der man nach einem Sturz rasch Hilfe holen kann. Denn das Telefon oder Handy ist meist nicht in Griffnähe. Viele stürzen auch, weil sie nicht mehr so gut sehen. Hier wäre es sinnvoll, den Weg nachts zum WC auszuleuchten. So stehen Sie auch im Alter sicher auf den Beinen.


Agil und stabil

Die Beratungsstelle für Unfallverhütung BFU hat zusammen mit der Pro Senectute und der Gesundheitsförderung Schweiz die Kampagne «Sicher stehen, sicher gehen» entwickelt. Hier finden Sie Kurse und passende Übungen, um Gleichgewicht, Kraft und mentale Fitness zu trainieren:
www.sichergehen.ch


Danica Gröhlich ist Redaktorin bei «GESUNDHEITHEUTE», der Gesundheitssendung am Samstagabend auf SRF 1.
Empfehlen Sie diesen Beitrag weiter: