«Frauenherzen reagieren sensibler auf Stress»

Interview Jeanne Fürst und Danica Gröhlich, 30. September 2021

(Symbolbild: iStock)

Der Körper einer Frau reagiert anders als der eines Mannes. Das hat Folgen für die medizinische Behandlung, sagt die Gendermedizin-Forscherin Cathérine Gebhard.

Frau Gebhard, wie hilft die Gendermedizin uns allen?
Die Gendermedizin beschäftigt sich mit dem Unterschied von Mann und Frau, wenn es um die Entstehung, Diagnose und Behandlung von Krankheiten geht. Sie widmet sich vor allem den Patientengruppen, die gegenwärtig in der Medizin unterversorgt sind.

Warum erhalten Frauen oft eine zu hohe Dosis an Medikamenten?
Weil Medikamente überwiegend an Männern getestet werden. Zudem ist die weibliche Darmfunktion langsamer, weshalb Substanzen länger im Darm verweilen und wirken. Frauen weisen zudem einen höheren Körperfettanteil auf und speichern fettlösliche Arzneimittel stärker. Zusätzlich scheiden Frauen Medikamente aufgrund von Unterschieden bei der Nierenfunktion langsamer aus.

Gefährden diese Unterschiede Frauenleben?
Ja. Schlafmittel mit gleicher Dosierung etwa wirken bei Frauen so stark, dass diese am folgenden Morgen mehr Unfälle verursachen.

Cathérine Gebhard ist Kardiologin und Professorin für Gendermedizin an der Universität Zürich sowie im Kantonsspital Baden.

Wie zeigen sich Geschlechtsunterschiede in der Kardiologie?
Das Herz eines Mannes ist 50 Gramm schwerer und schlägt langsamer. Zusätzlich schrumpft das Frauenherz im Alter. Da die Werte für eine normale Herzfunktion bei Männern optimiert sind, bleibt beispielsweise eine Herzschwäche bei Frauen länger unentdeckt. Frauenherzen reagieren sensibler auf Stress. Und ein Herzinfarkt zeigt sich bei Frauen seltener mit Brustschmerz, der in den linken Arm und den Unterkiefer ausstrahlt. Sie berichten über Bauchschmerzen, Übelkeit und Schwindel. Deshalb braucht es doppelt so lange, bis sie behandelt werden. Dabei zählt jede Minute.

Gibt es auch bei Covid Unterschiede?
Hier spielt nicht nur das biologische, sondern auch das soziale Geschlecht eine Rolle. Frauen wurden vor allem während der Lockdown-Phasen eher infiziert als Männer, weil sie häufiger in der Pflege arbeiten und in typisch weiblichen Berufen kaum im Homeoffice bleiben konnten. Frauen starben aber weniger oft an Covid, da sie eine stärkere Immunantwort haben: Die T-Zellen sind bei Frauen effizienter. Laut einer Schweizer Studie leiden Frauen jedoch häufiger an Long Covid. Hierfür ist Stress ein wichtiger Faktor. Womöglich sind Frauen mit Kindern, Homeschooling und Job stärker belastet.

Wie sieht die Gendermedizin der Zukunft aus?
Ziel in der Medizin ist eine personalisierte Therapie, die auf den einzelnen Menschen zugeschnitten ist. Ein wichtiger erster Schritt in Richtung einer personalisierten Medizin ist die Berücksichtigung von Geschlechterunterschieden.

 

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