«Etliche müssen wieder lernen, tief einzuatmen»

Interview Jeanne Fürst und Danica Gröhlich, 9. September 2021

(Symbolbild: iStock)

Vielen Covid-Betroffenen setzen die Langzeitfolgen ihrer Erkrankung zu. Was gegen die häufigsten Beschwerden hilft, sagt der Reha-Facharzt Björn Janssen.

Herr Janssen, ab wann spricht man von Long Covid?
Eine einheitliche Definition gibt es noch nicht. Bis zu drei Monate nach einer Ansteckung sprechen wir aber von einem Post-Covid-Syndrom. Dauern die Beschwerden bis zu sechs Monate, gilt das als Long Covid. Wenn jemand aber bereits mehrere Wochen lang im Spital lag, sind die Grenzen der Bezeichnung fliessend.

Woran leiden Menschen mit Long Covid?
Vor allem nach leichten Covid-Verläufen kommt es bei einem Teil der Patientinnen und Patienten zu Konzentrationsstörungen, Müdigkeit und Schwäche. Nach schweren Erkrankungen mit einer Beatmung auf der Intensivstation sehen wir teilweise bleibende Schäden, die jedes Organ treffen können, beispielsweise die Lunge oder das Herz.

Björn Janssen ist Chefarzt am Rehazentrum Walenstadtberg SG.

Warum kommt es zu diesen anhaltenden Beschwerden?
Das ist nicht gänzlich geklärt. Was man aber weiss: Oft wird die Lunge während eines schweren Covid-Verlaufs so stark geschädigt, dass dies nicht rückgängig gemacht werden kann. Betroffene können ihre früheren Leistungen deshalb nicht mehr abrufen. Wenn die Lebensqualität stark eingeschränkt und der Alltag wegen des Energiemangels kaum zu bewältigen ist, ergibt ein Reha-Aufenthalt Sinn.

Was hilft bei den häufigsten Symptomen?
Für das Energiemanagement etwa ist eine geregelte Tagesstruktur wichtig. Denn Long-Covid-Betroffene müssen wieder lernen, mit ihren Reserven umzugehen. Sonst sind ihre Batterien bereits vor dem Mittag leer. Kopfschmerzen setzen ein, wenn das körperliche Limit erreicht wird. Hier helfen Achtsamkeitsübungen. Auch psychologische Begleitung spielt eine Rolle, um mit der neuen Situation klarzukommen. Für die Atmung helfen spezielle Lungentrainings. Schwer Covid-Betroffene atmen nur noch oberflächlich und haben das tiefe Atmen verlernt. Bei vielen kommt der Geschmackssinn wieder. Er könnte aber mit Geruchs- und Geschmacksstoffen trainiert werden. Gegen Muskelschmerzen, häufig nach langem Liegen im Spital, wirken Physiotherapien, Kraft- und Grundlagenausdauer-Trainings sowie Massagen. Die Schlaflosigkeit wird zu Beginn oft auch medikamentös und mit Entspannungstechniken behandelt.

Wie sind die Prognosen für Long-Covid-Erkrankte?
Vor allem Menschen mit schweren Verläufen profitieren von einer Therapie, auch wenn einige Beschwerden bleiben können. Denn selbst nach einem stationären Aufenthalt ist ungewiss, ob sich die Lunge vollständig erholt. Je nach Verlauf benötigt es mehrere Monate oder länger, bis eine verbesserte Lebensqualität erreicht wird.

 

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